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Untergang

Untergang

Titel: Untergang
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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sie dafür, dass Rym schließlich zu ihrer Berufung als Hure gefunden hatte? Hätten sie nicht alle einen echten Hang zur Hurerei, so wie Izaskun?
    »Red keinen Scheiß, Matthieu! Nicht du!«
    Es war der letzte Samstag im August. Pierre-Emmanuels Freunde aus Corte waren gekommen, um an einer Nacht der Musik teilzunehmen. Sie stellten die Beschallungsanlage auf der Terrasse auf, die Gäste kamen und Virgile Ordioni holte Wurst und Schinken aus seinem Lieferwagen. Um halb eins in der Nacht stellten die Musiker ihre Instrumente ab und gingen unter Beifall von der Bühne. Sie nahmen am Tresen Platz neben Virgile, der in einer Ecke sein Eau de vie trank und darauf wartete, dass Libero ein wenig Zeit hätte, ihm Gesellschaft zu leisten. Pierre-Emmanuel klopfte Virgile auf die Schulter.
    »Wie schön, dich zu sehen! Bernard, gib uns was zu trinken und gib Virgile was zu trinken! Gib meinem Freund was zu trinken!«
    Libero sprach auf der Terrasse mit einer italienischen Familie. Er warf von Zeit zu Zeit einen Blick ins Innere der Bar. Als Izaskun mit einem Tablett nah an ihm vorbeiging, packte Pierre-Emmanuel sie an der Taille und küsste ihr den Nacken. Sie stieß einen kleinen spitzen Schrei aus. Libero ging rein.
    »Izaskun, mach deine Arbeit, verdammte Scheiße! Die Leute warten schon. Bernard, geh und kümmere dich um die Sandwichs und die Terrasse, ich mach hier weiter.«
    Libero setzte sich auf den Schemel hinter der Kasse und beugte sich zu Pierre-Emmanuel.
    »Ich habe es dir hundertmal gesagt: Du lässt sie arbeiten, und mit dem Ficken kannst du warten bis nach Ladenschluss, ich denke, das ist so schwer nicht zu verstehen, oder?«
    Pierre-Emmanuel hob die Hände zum Zeichen der Unterwerfung. »Ach, es ist hart, wenn man verliebt ist! Bist du schon einmal verliebt gewesen, Virgile? Komm, erzähl mal!«
    Und die Freunde aus Corte drängten ihrerseits darauf, Virgile Ordionis Bericht über seine Liebschaften zu hören, der aber wiederum lachte nur und sagte, dass es da nichts Großartiges zu erzählen gebe, aber sie glaubten ihm nicht, das sei nicht wahr, sie seien sich da sicher, Virgile sei ein großer Verführer, nicht wahr, Virgile?, oh, er könne es ihnen schamlos erzählen, sie seien unter Freunden, wie habe er sie rumgekriegt, die Frauen? Mit Zungenfertigkeit? Beim Tanz vielleicht? Ach! Natürlich! Mit Poesie! Er habe für sie Gedichte verfasst, ja, war es das?, nein? Los jetzt, sie möchten es wissen, sie würden sich schon mit einer Geschichte zufriedengeben, einer einzigen schon, die von der letzten Frau, die seinem Charme erlegen war zum Beispiel, eine einzige Geschichte, das sei nicht zu viel verlangt, man könne seinen Freunden alles anvertrauen, oder brauchte er einen Rahmen, der geeigneter wäre, sich das Herz auszuschütten, er sei schüchtern, er müsse nur mit ihnen in den Club gehen, mit einer guten Flasche würde er ihnen schon alles erzählen, nicht wahr? Er würde ihnen schon alles erzählen, wie er sie verführt habe, was er mit ihr im Bett angefangen habe, ob sie laut geschrien habe, das Problem nur, man werde ihn so nicht reinlassen in den Club, mit seinen klobigen Bergschuhen, klare Sache, unmöglich, und der Drillich, der gehe auch nicht, keine Chance, da gebe es Regeln, die verstünden keinen Spaß, und dann wäre es auch gar nicht klug im Grunde genommen, in einen Club einen Verführer wie Virgile mitzuschleppen, der sich in null Komma nichts alle verfügbaren Frauen schnappt, und dann wäre da ja keine einzige mehr für die anderen! Man müsse da schon noch welche für die anderen lassen! Nicht sich vollstopfen! Altruismus zeigen, ja, vor allem gegenüber Leuten, die von Corte aus einen solchen Weg hinter sich gelegt haben, das sei nicht sehr freundlich, denen gar keine Chance zu lassen, die würden dann ja gar nicht mehr wiederkommen, und also, nein, das sei wirklich keine gute Idee, ihn mitzunehmen in einen Club, und Virgile lachte noch immer und gab zu, dass er ja gern erzählen würde, wenn er nur etwas zu erzählen hätte. Libero stieß einen Seufzer aus.
    »Macht euch das Spaß? Könnt ihr ihn nicht in Ruhe lassen?«
    »Oh! Scheiß drauf! Wir machen Spaß! Wir mögen ihn gern, den Virgile!«
    Ja, sie mochten ihn gern, und er bezahlte sie schlecht für ihre Zuneigung, er zierte sich mit Geheimniskrämereien, er könnte doch zumindest von seiner Braut sprechen, er habe doch sicher eine Braut dort oben in den Bergen, um es im Winter warm zu haben, eine dicke Hirtin voller Fett zum
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