Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Untergang

Untergang

Titel: Untergang
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
Vom Netzwerk:
rechteckige Segel eines Schiffes, das in den Hafen von Hippo Regius fährt und von Italien kommend die unerhörte Nachricht mit sich führt, dass Rom gefallen ist.
    Während dreier Tage haben Alarichs Westgoten die Stadt geplündert und ihre langen, blauen Mäntel hinter sich her durch das Blut der Jungfrauen gezogen. Als Augustinus es erfährt, fühlt er sich kaum davon ergriffen. Er kämpft seit Jahren gegen den Ingrimm der Donatisten und widmet all seine Anstrengungen darauf, sie jetzt, da sie geschlagen, in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuführen. Er predigt den Gläubigen, die noch immer der Geist der Rache beseelt, die Tugenden der Vergebung. Er interessiert sich nicht für die Steine, die zusammenstürzen. Denn obgleich er voller Abscheu die Irrlehre seiner schuldhaften Jugend weit von sich gestoßen hat, so mag er sich vielleicht doch aus den Lehren Manis die tiefe Überzeugung zu eigen gemacht haben, dass diese Welt schlecht sei und es nicht verdiene, dass man ihrem Ende eine Träne nachweine. Ja, die Welt ist erfüllt mit der Finsternis des Bösen, er glaubt es noch immer, weiß aber jetzt, dass kein einziger Geist sie belebt, der die Einheit des ewigen Gottes gefährden könnte, denn die Finsternis ist nichts als die Abwesenheit von Licht, ebenso wie das Böse nichts anderes bezeichnet als die Spur des Rückzugs Gottes aus der Welt, die unendliche Distanz, die sie trennt, die allein Seine Gnade zu überbrücken vermag in den klaren Wassern der Taufe. Möge die Welt in Finsternis stürzen, wenn sich das Herz der Menschen dem Licht Gottes öffnet. Aber Tag um Tag bringen Flüchtlinge das Gift ihrer Hoffnungslosigkeit nach Afrika. Die Heiden klagen Gott an, eine Stadt nicht beschützt zu haben, die christlich geworden war. Von seinem Kloster in Bethlehem aus lässt Hieronymus die Schamlosigkeit seiner Klagegesänge über die ganze Christenheit erklingen, er jammert hemmungslos über das Schicksal des den Flammen und den Anstürmen der Barbaren ausgelieferten Roms und vergisst in seinem gotteslästerlichen Kummer, dass die Christen nicht der Welt angehören, sondern der ewigen Dinge Ewigkeit. In den Kirchen von Hippo Regius teilen die Gläubigen ihre Unruhe und ihre Zweifel und wenden sich an ihren Bischof, um aus dessen Munde zu erfahren, welcher schwarzen Sünde sie eine solch furchtbare Bestrafung verdanken. Der Hirte hat seinen Schafen deren fruchtlose Angst nicht vorzuwerfen. Er hat sie nur zu beruhigen. Und um sie also zu beruhigen im Dezember 410, geht Augustinus im Kirchenschiff auf sie zu und nimmt am Ambo Platz. Eine ungeheure Menge ist gekommen, ihn zu hören, und wartet, gegen die Chorschranke gepresst, im zarten Licht des Winters darauf, dass sich die Stimme erhebe, die sie aus ihrem Schmerz reißen soll.
    Höret, Ihr, die Ihr mir teuer seid,
    wir, die Christen, wir glauben an die Ewigkeit der ewigen Dinge, denen wir zugehören. Gott hat uns nur den Tod und die Auferstehung versprochen. Die Fundamente unserer Städte graben sich nicht in die Erde, sondern in das Herz des Apostels, den der Herr erwählte, Seine Kirche zu erbauen, denn Gott errichtet für uns keine Zwingburgen aus Stein, Fleisch und Marmor, Er errichtet außerhalb der Welt die Zwingburg des Heiligen Geistes, eine Zwingburg der Liebe, die nie zusammenstürzen und noch immer in ihrem Glanze aufragen wird, wenn das Jahrhundert zu Asche geworden. Rom wurde eingenommen und Eure Herzen erblicken darin ein Skandalon. Aber ich frage Euch, Euch, die Ihr mir teuer seid, Gott anzuzweifeln, der Euch das Heil Seines Segens versprochen, liegt nicht darin der wahre Skandal? Du weinst, weil Rom den Flammen ausgeliefert wurde? Hat Gott jemals versprochen, dass die Welt ewig sei? Die Mauern Karthagos sind gefallen, Baals Feuer ist erloschen und die Krieger Massinissas, die die Festungsmauern Cirtas niederschlugen, sind ihrerseits verschwunden wie Sand, der verrinnt. Das wusstest Du bereits, aber Du meintest, Rom würde nicht fallen? Wurde Rom nicht aufgebaut von Menschen wie Dir? Seit wann denkst Du, dass Menschen die Macht besitzen, ewige Dinge zu errichten? Der Mensch hat auf Sand gebaut. Wenn Du mit Armen umschließen willst, was er erbaut, dann umschließt Du nur Wind. Deine Hände sind leer und Dein Herz traurig. Und wenn Du die Welt liebst, dann gehst Du mit ihr unter.
    Ihr seid mir teuer.
    Ihr seid meine Brüder und Schwestern und ich bin bestürzt, Euch so traurig zu sehen. Aber noch mehr bestürzt es mich, Euch dem Wort Gottes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher