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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge
Autoren: Sean Thomas Russell
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trotzdem selbst nie verziehen hast.«
    Wann immer dieses Thema angeschnitten wurde, verspürte Hayden eine ihm vertraute Verzweiflung. »Bisweilen ist es wichtig, dass man sich etwas nicht verzeiht«, sagte er leise.
    Ein Ausdruck von Unbehagen huschte über das Gesicht seines Freundes. Unangenehmes Schweigen senkte sich herab, ehe Robert sagte: »Vermutlich hat Stephens nicht erwähnt, ob Hart jemand anderen als Ersten Leutnant haben möchte?«
    »Nein, davon weiß ich nichts.« Hayden war froh, nicht weiter über seinen Aufenthalt in Paris sprechen zu müssen.
    »Hoffen wir, dass Hart niemanden sonst vorgeschlagen hat. Stell dir vor, wie du dich fühlen würdest, wenn es so wäre! Charles, mir gefällt das Ganze nicht. Ich glaube, es wäre besser, wenn du das Angebot ablehnst.«
    »Dann brauchst du mir meinen Uniformrock nicht zurückzugeben, wenn er trocken ist.«
    Robert lehnte sich an den Kaminsims. Seine Miene war angespannt. »Hat Stephens dir irgendetwas in Aussicht gestellt, wenn du den Posten antrittst? Ein Schiff, eine Beförderung?«
    »Nichts. Er schien anzudeuten, er werde sich vielleicht bemühen, mir in Zukunft eine bessere Position zu verschaffen. Aber es war auch klar, dass ich bei meinem Auftrag zuerst Erfolge vorweisen muss.«
    Robert fluchte leise. »Es ist unverzeihlich, dass er dir eine Stellung anbietet, die deinen Fähigkeiten nicht gerecht wird, und dir nichts als Gegenleistung verspricht.«
    »Das ist ja nicht einmal das Schlimmste. Offenbar ist es in Harts Besatzung zu Unruhen gekommen. Und Mr Stephens scheint zu glauben, dass ich das regeln werde.«
    »Zur Hölle mit ihm! Wenn Hart erfährt, dass du als sein Kindermädchen geschickt wurdest, wirst du alles andere als willkommen sein.«
    »Hoffen wir, dass er nicht dahinterkommt.« Hayden zuckte mit den Schultern und stützte sich wieder mit dem Ellbogen auf dem Sims ab. »So steht es um meine Karriere, Robert. Wenn ich absage, ist sie zu Ende. Also werde ich auf die Themis gehen. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Vielleicht helfen mir ein paar erfolgreiche Aktionen, dass es mir bald besser geht.«
    Doch Robert machte keine Anstalten, den Worten seines Freundes zuzustimmen.
    »Nie begibt sie sich auf ihr Zimmer, ganz gleich wie spät es ist, sondern wandelt durchs Haus, ihre Hunde im Schlepptau. Zwischendurch schläft sie immer mal zwei Stunden auf einem Sofa oder einer Ottomane, oder sonst irgendwo, wo es ihr gerade gefällt. Die Bediensteten, die früh morgens kommen, um in den Zimmern sauber zu machen, können ihre Verwunderung kaum verbergen. Wenn sie die Gräfin schlafend vorfinden, müssen sie den Raum auf Zehenspitzen wieder verlassen und die ganze Unordnung so lassen.« Miss Henrietta Carthew lachte. Ein bezauberndes, perlendes Lachen, dachte Hayden, wie Wasser in einem Sturzbach. »Ich selbst habe sie schon einmal so vorgefunden, gegen zwei Uhr in der Frühe. Sie war umgeben von unzähligen Kerzen und hatte das Gesicht in ein Buch vergraben. Ihre Füße ruhten auf dem Rücken eines schlafenden Hundes, den sie Boswell getauft hatte.« Sie lachten alle.
    Mrs Hertle schaute zu Hayden hinüber, der daraufhin rasch den Blick von der hübschen Sprecherin wandte. Sie saßen alle am Tisch im Speisesaal der Hertles. Ab und an drang von der verhältnismäßig ruhigen Straße der Hufschlag von Pferden herauf. Das geschäftige Treiben Londons war wie ein Summen in der Ferne und wurde von niemandem bei Tisch als störend empfunden.
    Hayden hatte schon viel über die zauberhafte Miss Henrietta Carthew gehört, war nun jedoch überrascht, wie sehr er auf ihre Gegenwart ansprach. Wenn man ehrlich war, konnte man die Dame nicht schön im herkömmlichen Sinne nennen. Vielleicht kam man der Wahrheit näher, wenn man sagte, dass Henrietta zu den Frauen gehörte, bei denen die Beschreibungen »schön« und »eigenartig« fließend ineinander übergingen. Im Einzelnen betrachtet war an ihren Gesichtszügen nichts auszusetzen, aber wollte man ihr Antlitz als Ganzes beschreiben, so schien etwas zu fehlen, als wären die einzelnen Partien ungleich und disharmonisch. Ihre Nase war zwar gerade und schön geformt, schien aber eher für ein anderes Gesicht geschaffen worden zu sein. Die Augen - braun, tiefgründig und mit bernsteinfarbenen Einsprengseln - standen ein wenig zu weit auseinander. Doch wenn die Dame lächelte, dann verschwand all das, was eben noch unsymmetrisch gewirkt hatte, und Hayden begriff, warum Miss Henrietta als hübsch galt. Die
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