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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition)
Autoren: Dagmar Leupold
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Plankton mitgeschwemmt, zweimal Rast, um Lottes Ohren zu pflegen, einmal Rast, um in einer Zoohandlung Welpen zu bestaunen. Worüber wird gesprochen? Nichts von Bedeutung, ich meine, nichts, was im Wortsinn aufgeht. Es ist mehr eine Melodie, eine heitere, so wie der ganze Ausflug heiter ist. Am Ufer der Salzach, auf dem wir entlangschlendern, kommt uns Claudia entgegen, die Bernerin mit dem Orakel auf dem Oberschenkel. Sie ist in Begleitung eines mir unbekannten Mannes, vermutlich der Verlobte, dessen Hand auf ihrem Hintern ruht wie ein Siegel. Sie wirft ihre langen Haare mit einem solchen Nachdruck nach hinten, dass ich weiß, sie hat auch mich erkannt. Als ich mich noch einmal umdrehe, trottet ein Golden Retriever die Böschung entlang, blond das gelockte Fell, der Gang federnd wie in Vorfreude.
    Nachmittags fahren wir zur Burg hinauf, Lotte wird von Parwiz und Anja in einem geliehenen Rollstuhl geschoben, wir andern laufen in Schlosspantinen hinterher. Seit der Mutprobe im Zug, seit dem Moment des geglückten Aufstands hat Lottes Gesicht den Ausdruck von Lebensentzücktheit nicht mehr verloren.
    Dann, im Restaurant, das Heinrich ausgesucht hat, kommt eine regelrechte Albernheit dazu: Lotte beginnt sich aufzuführen. Beim Bestellen lallt sie, die Kinder – alle drei – biegen sich vor Lachen und feuern sie an. Lotte rudert mit den Armen, in der einen Hand die Speisekarte, zwei Gläser werden getroffen und gehen klirrend zu Bruch. Ja! Ja! Nur Mehlspeisen, kein Hauptgang! Nockerl,
jeckerl noch mal!
Erneut prustendes Lachen bei Anja und Parwiz, Heinrich versucht, die Gemüter zu beruhigen, indem er Lotte zart die Speisekarte entwindet und die anderen nach ihren Wünschen fragt, die er dann geordnet dem Kellner vorträgt. Lotte sitzt zwischen Anja und Parwiz, das Gesicht nicht ganz ihres, etwas ist verändert, die Tat hat es verändert, denke ich. Es sieht weicher aus als sonst, aber auch wie ein leicht schief im Passepartout steckendes Bild.
    Schwungvoll bringt der Kellner unter Wohlbekomms-die-Herrschaften-Geraune zuerst die Getränke, schneidig tritt er wieder ab. Wir stoßen an, und Heinrich rückt Lottes Glas in die Tischmitte, nachdem sie bereits beim ersten Schluck etwas vergossen hat. Dann werden Anjas und Parwiz’ Gerichte gebracht, sie haben das Gleiche bestellt, Tortellini in Schinken-Sahne-Sauce; überhaupt scheinen sie es darauf angelegt zu haben, in zwillingshafter Gleichschaltung aufzutreten. Sie werden allgemein ermuntert, anzufangen, Rahel mault und bekommt von Parwiz eine Gabel gereicht, als es geschieht: Lotte hebt beide Arme in die Höhe, ein ganz fremdes Grinsen geht über ihr Gesicht, dann stößt sie ihre Ellbogen mit Vehemenz in die Teller ihrer beiden Sitznachbarn. Die Tortellini spritzen wie Knallfrösche in alle Richtungen. So aufgestützt, hält sie inne, das Grinsen im Gesicht bleibt. Parwiz und Anja lachen, diesmal aber vor Entsetzen, mir schießen die Tränen in die Augen, und ich rufe: Franz! Heinrich!
    Franz und Heinrich, beim Ausflug eher behutsam darum bemüht, sich aus dem Weg zu gehen, springen gemeinsam auf, stoßen dabei mit dem Kellner zusammen, der mit flatternder Serviette herbeigeeilt ist. Franz gibt ihm die kurze Anweisung, eine Ambulanz zu rufen, und sagt zu Heinrich: Fassen Sie mit an, das ist ein Schlaganfall. Dann: Rahels Geheul, weitere herangeeilte Bedienungen, die Neugierige davon abhalten, an unseren Tisch zu stürzen, Teller, die zu Bruch gehen, weil Lotte am Tischtuch reißt, mit unheimlicher Kraft, Lottes Nockerln, die zu spät kommen –
    Dann endlich tritt Franz hinter Lotte, packt sie bei den Schultern und hält sie. Heinrich reinigt ihre Ärmel mit seinem Taschentuch, dabei pendelt ihr Kopf, als wäre er nicht mehr dem Körper angehörig.
    Der Notarzt kommt, eine Infusion wird gelegt, Franz und Nina nehmen sich der verstörten Kinder an, regeln vermutlich alles – unbekannt der genaue Ablauf, weil im Bruchteil eines Augenblicks etwas eingetreten ist, das umgehend alles vorher Bedeutsame null und nichtig gemacht hat. Hervorgekommen aus seinem Versteck unter Deck ist der Tod, der blinde Passagier im Lebensschiff, der echte Schwarzfahrer.
    Heinrich und ich begleiten Lotte im Krankenwagen; da wir keine Angehörigen sind, wird uns verwehrt, bei ihr zu bleiben. Wir übernachten in einem Hotel, dessen gestärkte Bettwäsche und brettharte Kissen die Unbarmherzigkeit des Geschehens ins Begreifliche übersetzen.

Sechsundzwanzig
    Man hat Lotte über Nacht
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