Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Straßen Berlins

Unter den Straßen Berlins

Titel: Unter den Straßen Berlins
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
Vom Netzwerk:
Staubsauger auch noch den kleinsten Rest von dem Papier abgesaugt.
    Geizkragen , dachte Siggi. Er ließ die Tüte wieder fallen. Die ganze Wiese lag noch vor ihm, also kein Problem. Ein paar Meter weiter sah er etwas Silbriges im Gras liegen. Er hob es auf.
    Es war ein Zwei-Euro-Stück.
    »Geil«, entfuhr es Siggi leise. Das söhnte ihn mit dem McDonald’s-Geizkragen aus. Das Geldstück blinkte in seiner Hand wie frisch aus der Geldpresse. Völlig glatt und sauber. Eigentlich zu glatt. Eine Fälschung? Siggi zog sein Feuerzeug aus der Tasche und ließ es aufflammen. Er hielt das Geldstück in den schwachen Lichtschimmer. Die Prägung sah abgerieben aus, wie geschmirgelt, die Ecken beinahe abgerundet, aber es schien echt zu sein.
    Blitzblank, aber echt. Siggi ließ es in seiner Hosentasche verschwinden. Dann ging er weiter zu den nächsten Hinterlassenschaften. Er fand eine Brottüte ohne einen einzigen Krümel darin, eine völlig saubere Plastikdose Fleischsalat vom nahe gelegenen Discounter und drei Bierflaschen.
    Neunundzwanzig.
    Die ließen einem auch gar nichts übrig. Wahrscheinlich war heute bundesweiter Geizkragentag oder Tag der Schotten oder so was. Heutzutage gab es ja für alles einen Extratag. Mehr Tage, als das Jahr zu bieten hatte und niemand merkte das. Siggi hob eine Bierflasche
    dreißig
     auf und stutzte, als er das Gewicht fühlte. Die schien noch ordentlich voll zu sein. Er warf einen Blick aufs Etikett. Schwarzbier.
    »Wohl doch kein Geizkragentag heute«, murmelte er. Er spähte durch die Flaschenöffnung, ob eine Wespe im Bier schwamm. Ein häufiger Grund für Sonnenbader, das geöffnete Getränk einfach stehenzulassen.
    Glitzerndes nasses Schwarz. Kein Insekt zu sehen. Siggi setzte die Öffnung an die Lippen.
    Es fühlte sich merkwürdig an, als er die Flasche anhob. Ungewohnt. Das Ansetzen und Heben einer Bierflasche war ihm seit Jahren vertraut. Der Hebewinkel, die Gewichtsumverteilung, wenn das Bier seinen Lippen entgegen floss …  ein Gefühl, so gewohnt, dass es fast zu einem Instinkt geworden war. Und dieser Instinkt schlug jetzt Alarm.
    Das ist kein Bier in der Flasche … kein Bier …
    Etwas berührte seinen Mund. Siggi zuckte zurück. Ein Schmerz wie von unzähligen kleinen Nadeln bohrte sich in seine Zunge. Siggi schrie und riss an der Bierflasche. Der Schmerz in seiner Zunge explodierte. Er bekam die verdammte Flasche nicht aus seinem Gesicht. Irgendwie wusste er, dass ihn etwas in die Zunge gebissen hatte, aber das konnte sein Bewusstsein noch nicht zu seinem Geist durchlassen. Etwas, das einem mit hundert kleinen Zähnen in die Zunge biss, etwas, das schwarz und glitzernd in Bierflaschen am See lauerte, das wäre zu viel gewesen.
    Viel zu viel.
    Siggi heulte und zerrte an der Flasche. Der Schmerz ist seiner Zunge war unbeschreiblich. Ein schmatzendes Geräusch drang an sein Ohr und die Flasche löste sich von seinem Gesicht. Das Gefühl der Erleichterung blitzte für eine halbe Sekunde in seinem Gehirn auf, dann registrierte er, dass sich das Ding immer noch an seiner Zunge festhielt. Es war aus der Flasche herausgeflutscht und hing jetzt aus seinem Mund. Siggi ließ die Flasche fallen und griff sich ins Gesicht. Er fühlte feuchte, glatte Haut und aus den Augenwinkeln sah er das schwarze Wesen, auf dem Lichtreflexe glitzerten. Dünne, tentakelartige Ärmchen legten sich auf sein Gesicht und winzige Zähne drangen überall durch seine Haut. Siggi keuchte und packte das Etwas mit beiden Händen. Als er zudrückte, quietschte es hell und fast kreischend, wie ein Ferkel, das man gegen seinen Willen an den Beinen hochhält. Es bohrte sich in sein Gesicht und hielt sich mit seinen winzigen
    Zähnen?
    an ihm fest.
    Siggi rannte los. Das Ufer des Weißen Sees war nur wenige Schritte entfernt. Er lief ins Wasser, bis es ihm über die Knie reichte und warf sich dann nach vorne in der verzweifelten Hoffnung, dass das Wesen sich im Wasser von ihm lösen würde. Er zog an den kleinen Ärmchen und schaffte es, zwei von seinem Gesicht abzureißen. Siggi tauchte auf, um Luft zu schnappen. Blut lief ihm in die Augen. Er konnte nur noch durch die Nase atmen, denn das Ding bedeckte jetzt seinen Mund und bohrte sich in die Lippen und das Zahnfleisch. Seine Hand schmerzte und er fühlte Nadelstiche, die durch sein Hemd in den Oberarm eindrangen.
    Eine andere schwarze Kreatur saß auf seinem Arm und hielt ihn umklammert. Siggi ruderte in Panik mit den Armen und sah auf seiner Hand ein kleineres
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher