Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
zurückschreckte, so zart und weich war die Haut dort. Das Kind jauchzte vor Freude.
    Caro betrachtete die beiden liebevoll. So hätte es von Anfang an sein müssen. Es war herzzerreißend, wie gut Vater und Sohn sich auf Anhieb vertrugen. Sie empfand einen winzigen Anflug von Eifersucht: Warum hatte sie so lange gebraucht, um Alfredinho zu lieben? Was António binnen Sekunden gelang, hatte bei ihr ein Jahr gedauert.
    Sie hob ihren Sohn wieder hoch: »Ich füttere ihn jetzt mal, sonst wird er unleidlich.«
    »Ganz der Papa – ich habe einen mörderischen Hunger.«
    »Halt ihn mal kurz, dann ziehe ich mir schnell was an.« Sie drückte António das Kind in die Arme, warf sich einen seidenen Morgenmantel über und schlüpfte in seidene Pantoletten. »Komm mit in die Küche. Wenn du möchtest, gern auch im Adamskostüm. Gott sei Dank haben wir ja heute sturmfreie Bude.«
    In der Küche fanden sie Brot, Käse, Schinken, Oliven und Butter, und zwar in solchen Mengen, dass Caro sich fragte, für wen die wohl gedacht waren. Für sie sicher nicht, denn sie frühstückte nur sehr wenig und ausschließlich süß, und die anderen Mahlzeiten nahm sie gar nicht zu Hause ein. Die Kinderfrau? Aber wozu brauchte die einen halben Räucherschinken? Sie verdrängte den Gedanken an ihr Personal und dessen Essgewohnheiten schnell wieder. Im Augenblick gab es Wichtigeres.
    António langte tüchtig zu, und Alfredinho aß ebenfalls mit gutem Appetit den Brei, der fix und fertig zubereitet in einem Topf auf dem Herd gestanden hatte, bereit zum Erwärmen. Auch Caro hatte Hunger, naschte jedoch nur ein paar Oliven. Obwohl sie ihren Magen knurren hörte, hatte sie überhaupt keinen Appetit. Irgendwie, so schien es ihr, hatte die beglückende Begegnung mit António all ihre Sinne befriedigt.
    Sie trank ein Glas Wasser, dann hievte sie ihren Sohn aus seinem Kinderstühlchen. António nahm ihn ihr ab. Er hob den Kleinen hoch, hielt ihn mit ausgestreckten Armen vor sich und ließ ihn hin und her fliegen. Alfredinho krähte vor Vergnügen, als António rief: »Sie haben versucht, uns die Flügel zu stutzen. Aber wir können fliegen, mein kleiner Engel. Wir fliegen.«
    Ja, dachte Caro. Sie würden fliegen. Weiter und höher, als sie je zu hoffen gewagt hatten.

[home]
    Epilog
    I m Oktober 1929 kehrten Caro, António, Alfredinho und ihre kleine Tochter Cécile nach Rio de Janeiro zurück – und zwar in einem Flugzeug. Sie brauchten zwei Wochen für die Reise, weil sie sie wegen der Kinder mehrmals unterbrachen. Sie machten Zwischenlandungen in Lissabon, in Spanisch-Marokko, auf den Kapverden, in Fernando de Noronha sowie in mehreren Küstenstädten Brasiliens. Etwa die Hälfte der Strecke steuerte Caro das zweimotorige Flugzeug – sie hatte dank der Unterstützung ihres Ehemannes in Paris den Pilotenschein machen können und die Prüfung mit Bravour abgelegt.
    Unterwegs schlug ihnen Fassungslosigkeit entgegen, manchmal auch blanke Wut, wenn die Leute sahen, dass sie mit Kindern reisten. Dabei, fand Caro, war es doch für die Kleinen auch nicht schöner, wochenlang auf einem Schiff festzusitzen, womöglich von Seekrankheit geplagt zu sein und dabei Gefahr zu laufen, unterzugehen. Die Zahl der Schiffsunglücke war mindestens genauso hoch wie die der Flugzeugabstürze. Und den Kindern gefiel das Fliegen, das war doch die Hauptsache.
    In Rio mussten sie als Erstes die Beerdigung von Antónios Mutter, Dona Madeleine, überstehen, und auch sonst erwartete sie nicht viel Erfreuliches. Sowohl Caro als auch António hatten sich mit ihren Familien überworfen. Sie würden den Anstand wahren und sich bei der Beerdigung blicken lassen, und sie würden natürlich auch, aus purer Höflichkeit, die Enkel den Großeltern vorstellen. Vitória und León kannten die kleine Cécile bisher nur aus den schriftlichen Schilderungen von Joana, und Roberto Carvalho kannte keines der beiden Kinder. Aber darauf sollte sich der Kontakt zu ihren Familien beschränken – zu tief saß der Schmerz über die Lügen und den Verrat, auf den sich das junge Ehepaar noch immer keinen Reim machen konnte. Sie hatten dennoch beschlossen, die Dinge ruhen zu lassen. Keiner von ihnen hatte Lust, sich weitere Lügen anzuhören, fadenscheinige Ausreden und vorgeschobene Argumente. Es führte doch zu nichts. Sie hatten jetzt einander und ihre Kinder, das reichte ihnen vollkommen.
    Am Grab seiner Mutter, die viel zu jung an Krebs gestorben war, erfasste António dann doch eine große
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher