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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio
Autoren: Ana Veloso
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»Künstleragent« bezeichnen. Wenn die Nachbarn mal nach uns fragen sollten, können Sie also sagen: Bel ist ein Star, und unser Schwiegersohn ist ein Agent. Na, wie klingt das? Natürlich liegt noch viel Arbeit vor uns, bis Ruhm und Reichtum sich einstellen, aber ich habe keinen Zweifel, dass es bald so weit sein wird. So, nun habe ich aber genug über unsere Abenteuer in Paris geschrieben. Ich schicke Ihnen die allerherzlichsten Grüße und verbleibe mit der demütigen Bitte, dass Sie uns auch bald schreiben. Ich will alles wissen: Wie geht es Ihnen? Was macht Dona Fernandas Gesundheit? Hat Ihr Jüngster noch diesen fürchterlichen Schluckauf? Hat Lulu wieder ein herrenloses Tier aufgegabelt? Ist Lara schon so hübsch wie ihre Schwester und ihre Mutter? Lassen Sie bloß kein Detail aus – ein bisschen Heimweh habe ich nämlich doch, und jede kleine Neuigkeit ist Balsam für mein Herz.
    In tiefer Dankbarkeit und Verbundenheit,
    Ihr Augusto
     
    Liebe Eltern,
    Augusto hat ja schon alles geschrieben und mir nichts mehr zum Erzählen übrig gelassen. Alles stimmt. Und wir sind sehr glücklich. Aber auf einen Enkel müsst ihr noch ein bisschen warten, denn jetzt geht die Karriere erst mal vor.
    Herzliche Grüße und Küsschen an alle,
    Eure Bel
     
    Felipe war während des Vorlesens aufgestanden und im Raum umhergelaufen. Jetzt ließ er den Bogen sinken und sah seine Frau mit Freudentränen in den Augen an. Neusa war ähnlich gerührt. Sie fiel ihrem Mann um den Hals und rief: »Ach Felipe!« Nicht minder perplex als Felipe über diese für ihre Verhältnisse radikale Gefühlsäußerung, wich sie sofort wieder zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Bel hätte ja ruhig ein paar Zeilen mehr schreiben können.«
    »Na, du kennst sie doch.«
    »Aber Augusto, dieser brave Junge! Einen besseren Ehemann als ihn hätte sie nicht finden können.«
    »Ja, finde ich auch«, stimmte Felipe ihr zu.
    Misstrauisch schaute sie ihn an. Was war denn mit dem los? Seit wann war ihr Mann mal einer Meinung mit ihr? Bestimmt hatte er sich eine Geliebte zugelegt, und vor lauter Gewissensbissen gab er sich jetzt netter als sonst.
    »Was ist denn jetzt schon wieder? Warum siehst du mich so komisch an?«, fragte er.
    »Das müsstest du doch am besten wissen«, antwortete sie schnippisch.
    Die gute Laune war so schnell verflogen, wie sie gekommen war.
     
    Unterdessen plagte sich Augusto in Paris mit dem undichten Dach herum, durch das es hereinregnete. Seit Tagen schüttete es unaufhörlich, es kamen Wassermassen aus diesem unscheinbaren grauen Himmel, neben denen sich jedes spektakuläre Tropenunwetter ausnahm wie eine Gießkanne, aus der es nur tröpfelte. In ihrer ohnehin zu kleinen Wohnung standen nun auch noch überall Töpfe und Schüsseln im Weg, mit denen sie das Regenwasser auffingen. Wenn man aus dem Fenster sah, erblickte man auf den Trottoirs nichts als ein Meer aus schwarzen Regenschirmen. Tropfen prasselten Tag und Nacht gegen die Fensterscheiben, und auf dem Metalldach vollführte der Dauerregen ein permanentes Trommeln. Augusto fühlte sich stark an einen Februar – wann genau war das noch gewesen, vor zwei Jahren? – in Rio erinnert, als es wochenlang geschüttet hatte. Octávio Osório war von Rheuma-Attacken heimgesucht worden, Iolanda Marcos hatte vor dem Studio einen unschönen Ausrutscher im Schlamm hingelegt, er selber war praktisch ununterbrochen durchnässt gewesen, weil man ihn zu allen möglichen Besorgungen losgeschickt hatte. Scheußliche Zeit, dachte er – und vermisste sie irgendwie doch. Es stimmte, was er seinen Schwiegereltern geschrieben hatte: Er litt unter Heimweh. Bei schönem Wetter war es schon schlimm, aber der Regen machte ihn noch melancholischer. Und Bel ging es genauso, nur dass sie es besser zu verbergen wusste. Sie war mürrisch und ungerecht, nur weil es ihm nicht immer gelang, ihr frisches Kokosnusswasser oder eine
fruta do conde
zu beschaffen. Die lokalen Früchte der Saison, nach denen hier alle verrückt waren und um die sie ein mordsmäßiges Brimborium veranstalteten, nämlich Spargel, Rhabarber und Erdbeeren, fanden sie beide fad.
    Zum Glück war ihr neuer Arbeitsplatz schon mehr nach ihrem Geschmack. Die »Cité Elgé« von Gaumont beherbergte mehrere Filmstudios, die im Vergleich zu der Klitsche eines Senhor Pereira wie heilige Hallen des modernen Fortschritts wirkten. Diese Filmstadt lag im 19 . Arrondissement und war per Metro gut zu erreichen – von Pigalle waren
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