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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins
Autoren: Jürgen Ebertowski
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unterbringen könnte.«
    »Soviel ich weiß, sind die Kinder dafür noch zu klein.«
    Karl schaute auf die Uhr. »Es wird Zeit für mich.«
    »Nimm das auch noch für Richard mit.« Vera steckte eine Büchse dänisches Frühstücksfleisch in Karls Aktentasche.
    »Das ist Schweinefleisch«, sagte Karl.
    »Quatsch, das ist Frühstücksfleisch!« sagte Vera. »Er muß essen. Die Lebensmittelrationen werden ja von Tag zu Tag lächerlicher. Sag ihm einfach nicht, was es ist, sag ihm nur, es ist von mir.«
    »Keine Bange, ich richte es ihm aus. Er wird es essen, wenn du es anordnest.« Karl lächelte.
    Richard vergötterte Vera. Er war ein ruhiger, umsichtiger Junge, der sich im Adlon schnell zurechtgefunden hatte. Selbst Kassner nörgelte kaum an ihm herum, was er bei den anderen Pagen ständig tat.
    Karl küßte Vera auf die Stirn. »Meine Bahn fährt in zehn Minuten – falls sie fährt.«
    »Die Leute beim Bäcker eben sagten, sie hätten keine Bomben gehört.«
    Karl und Vera hatten in der Nacht eine Stunde im Luftschutzkeller verbracht. Der Hochbunker Humboldthain hatte für ein paar Minuten den Himmel mit Leuchtspurgranaten durchpflügt. Die tastenden Finger der Suchscheinwerfer vom Lichtbunker waren ununterbrochen an der Wolkendecke entlanggeglitten und erst erloschen, als gegen Mitternacht Entwarnung gegeben wurde.
    »Ich schlafe heute wieder bei Birgit.«
    »Das ist vernünftig«, sagte Karl.
    Birgit wohnte in der Budapester Straße. Bis zum großen Zoo-Bunker lief man nur ein paar Minuten. Der Zoo-Bunker galt als unzerstörbar.
    Karl traf im Flur auf die Briefträgerin. »Das war direkt mal eine einigermaßen ruhige Nacht.«
    »Ja, haben Sie denn noch keine Nachrichten gehört?«
    »Nein.«
    »Die Alliierten sind in Frankreich gelandet.«
    »Du mußt mal mit dem Hauptmann in der Bar sprechen, was an der Ostfront passiert, oder mit seinem Leutnant.« Klempert verstummte und händigte einem Sanitätsoffizier den Zimmerschlüssel aus. Im Adlon wohnten kaum noch zivile Reisende. Erst als er in der Drehtür war, redete Klempert weiter: »Und unser geliebter Führer hockt in der Wolfsschanze und feuert einen fähigen General nach dem anderen. Wenn das so weitergeht, haben wir in ein paar Monaten die Rote Armee zu Gast.«
    Karl nickte grimmig. »›Wollt ihr den Totalen Krieg?‹ – ›Ja, ja, ja!‹«
    Das Telefon klingelte. Karl nahm ab: »Guten Tag, hier ist das Hotel Adlon … In zwanzig Minuten etwa? … Gut, ich veranlasse augenblicklich Voralarm.«
    »Geht es wieder los?« Klempert drückte auf den Pagenknopf.
    Karl rief Bunkerwart Stanner an.
    Als der erste Gongschlag ertönte, stieg Kassner aus dem Fahrstuhl.
    Klempert stieß Karl an. »War der nicht eben noch nebenan in der Telefonzentrale?«
    Richard verschwand mit der Klangscheibe im Lesesaal. Die ersten Hotelgäste verließen das Restaurant und den Wintergarten. Kassner folgte ihnen ins Treppenhaus.
    »Ich lauf mal noch schnell durch den Weinkeller«, sagte Karl. »Nach dem letzten Alarm hat schon wieder eine Kiste Mosel gefehlt.«
    Im Souterrain strömten die Leute zum Frisiersalon. Karl sah Kassners Glatze zwischen den Uniformmützen. Stanner stand in der Türöffnung des Salons und zählte die Eintretenden. Als er Kassner sah, winkte er ihm und nahm ihn beiseite. Kassner nickte – und eilte los. Niemand wunderte sich. Besonders bei Nachtangriffen mußten einige Gäste förmlich aus den Betten gerissen werden, weil sie den Gong überhört hatten.
    Karl stutzte erst, als Kassner an der nächsten Treppe zum Obergeschoß vorbeilief. Das Gangende konnte Karl nicht einsehen: Der Flur machte einen Knick. Dahinter gab es Verbindungstüren zum Putzmittellager, zur Hausdruckerei und zum Hausmeisterbüro, aber keinen Zugang, durch den man in den Weinkeller gelangen konnte.
    Die Hotelgäste stauten sich jetzt vor dem Frisiersalon. Karl folgte Kassner bis zum Knick und spähte um die Ecke.
    Kassner schloß die Tür des Druckereikellers auf. Karl kehrte um und half Stanner, die Leute einzuweisen.
    Im Bunker ließ er die Gasschleuse nicht aus den Augen. Wo blieb Kassner? Klempert und die Pagen kamen als letzte. »Alles klar, Stanner, oben ist keiner mehr! Sie können dichtmachen.«
    Stanner schloß die Stahltür.
    Das Haus mit der Kneipe war wie durch ein Wunder unversehrt geblieben. Karl wich den Absperrungen aus und stieg über einen Stapel verkohlter Balken. In den Gebäuden rechts und links von der Sonne hatte es in den oberen Stockwerken gebrannt. Die
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