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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Ihnen das?«
    Karl sah die eintätowierte Nummer auf dem Unterarm und sagte: »Jude?«
    »Ja«, sagte der Mann. »Ich konnte aus Oranienburg flüchten. Wir, das ist eine Gruppe Gleichgesinnter. Wir versuchen, jüdischen Kindern zu helfen, die sich in Berlin versteckt halten. Richard, der Enkel von Professor Blum, wohnt bei einer Familie in Charlottenburg, die ihn als einen entfernten Verwandten ausgibt, dessen Eltern beim Angriff auf Hamburg ums Leben gekommen sind.«
    »Ich dachte, Blums Sohn ist mit der Familie in Dänemark.«
    »Sie haben versucht, nach Schweden zu fliehen. Das Boot wurde von der Küstenwache beschossen. Richards Eltern sind tot. Der Junge war auf einem anderen Boot, das entkommen konnte.«
    »Und warum ist er nicht in Schweden?«
    »Das Boot ist vom Kurs abgekommen und mußte nach Seeland zurück.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich hatte die Flucht organisiert. – Ich war auf Richards Boot.«
    »Ich verstehe.« Karl reichte dem Mann eine Tasse und holte die Teekanne. »Was kann ich tun?«
    »Richard ist gerade fünfzehn geworden. Es würde auffallen, wenn er den ganzen Tag zu Hause bliebe. Zwei Jungs im Haus sind in der HJ. Sie haben ihm schon merkwürdige Fragen gestellt.«
    »Was hat er gesagt?« Karl goß dem Mann ein.
    »Richard ist sich der Gefahr seiner Situation bewußt. Er hat sich geschickt herausgeredet. – Am besten für ihn wäre, wenn er schnell Arbeit finden würde. Professor Blum ließ uns wissen, daß Sie im Adlon in leitender Position sind. Richard würde einen guten Pagen abgeben. Die notwendigen Papiere kann ich beschaffen – einschließlich Ahnenpaß der Eltern, falls erwünscht.«
    Karl pulte zwei Stückchen Würfelzucker aus einer verklebten Papiertüte. »Wollen Sie auch eins?«
    »Ja, bitte!« Der Mann rührte seinen Tee um.
    Karl holte seine Tasse aus der Spüle. Die Wasserleitung war intakt. Er wusch die Tasse ab und trocknete sie nachlässig mit einem Geschirrhandtuch. Dann setzte er sich dem Mann gegenüber an den Küchentisch. »Der Junge soll morgen um Punkt elf am Wirtschaftseingang des Adlon in der Wilhelmstraße sein. Er soll nach mir fragen. Ich werde ihn abholen und unserem Direktor vorstellen. Einen Pagen können wir gut gebrauchen, wir haben kaum noch welche. Sie fangen jetzt an, schon Siebzehnjährige einzuziehen.«
    »Ich danke dir«, sagte der Mann. »Nenn mich Gad.«
    »Ich heiße Karl. Und, Gad, du mußt mir nicht danken. Ich weiß, was man in Polen mit Juden macht. Ein Freund, ein hoher Offizier, hat es mir mit Erschütterung erzählt: Man vergast sie wie …«
    »Sprich es ruhig aus!« sagte Gad mit zusammengepreßten Zähnen. »Wie Ungeziefer.«
    »Ich konnte es kaum glauben.«
    »Es geht vielen so, die davon aus zweiter Hand erfahren«, sagte Gad. »Richard ist bei einem Eisenbahnerehepaar untergekommen. Der Mann war ein strammer Nazi – bis er einen KZ-Zug nach Auschwitz fahren mußte: offene Viehwagen im Winter bei minus zehn Grad.«
    »Leute wie der Eisenbahner sind die Ausnahme«, sagte Karl. »Sie riskieren alles. Hier im Haus kenne ich allein schon fünf Leute, die sofort bei der Polizei wären, wenn jemand nur einen politischen Witz reißen würde.«
    Gad nickte. »Denunzianten gibt es zuhauf. Wir versuchen so vorsichtig zu sein, wie es nur geht.«
    Karl deutete auf die Manteltasche. »Du scheinst keine Erfahrung mit Waffen zu haben.«
    »Wegen des Sicherungshebels?«
    »Ja.«
    Gad lächelte und griff in die andere Manteltasche. »Den Browning hier sichere ich jetzt mal lieber.«

9.
    K ASSNERS NEUE N EBENTÄTIGKEIT
    Vera bückte sich und langte unter den Kohlenkasten. »Zwei für Richard und seine Familie und eine für dich.« Sie zählte drei Brotkarten ab und gab sie Karl.
    »Mein Gott, das sind ja mindestens zehn!« Karl ging zum Küchenfenster. Er legte die Karten ins Sonnenlicht auf das Fensterbrett. »Wo hast du die denn aufgetrieben?«
    »Birgit kennt jemanden, der damit handelt.«
    »Sind es echte?« Er holte seine Brieftasche, verglich.
    »Ich denke, ja. Oder kannst du einen Unterschied erkennen?« Vera schob den Kartenstapel wieder unter den Kohlenkasten.
    »Die müssen ein Vermögen gekostet haben, Vera!«
    »Was soll’s? Eine goldene Armbanduhr kann man schlecht essen. Das war es wert.«
    »Ich habe nie gewußt, daß du eine goldene Armbanduhr besitzt.«
    »Die Armbanduhr ist von Gad. Er holt sich die Karten heute abend im Oriental ab. Er braucht sie für seine Kinder.«
    »Bestell ihm, daß ich einen weiteren Pagen im Adlon
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