Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins
Autoren: Jürgen Ebertowski
Vom Netzwerk:
sporadisch ins Hotel. Die Macht im Haus war völlig an diverse militärische Organisationen übergegangen, die Berlin gegen die anrollende russische Feuerwalze verteidigen sollten. SS, Volkssturm, Marinesoldaten, reguläre Infanterie, Ukrainer des General Wlassow in Wehrmachtsuniform und Burmeisters Truppe hatten Quartier im Adlon bezogen. Die Rothaarige war auch wieder da. Sie trug einen soldatischen Haarschnitt. Über ihrer Schulter hing lässig eine MP.
    Das Haus Unter den Linden Nummer Eins war das einzige große unzerbombte Gebäude in der Nähe der Reichskanzlei, in dem die Zentralheizung noch funktionierte und es Strom und Wasser gab, wo noch regelmäßig warme Mahlzeiten serviert wurden. Den Volkssturm, das finale Aufgebot an Kanonenfutter für Marschall Schukow, organisierten die NSDAP-Parteifunktionäre.
    Kassner hatte vom Büro des Generaldirektors Besitz ergriffen, saß im Schreibtischsessel von Louis Adlon und las halblaut die Namen der Adlon -Bediensteten vor.
    »Dann wären da noch die Pagen: Ulf, Bernhard, Richard …« Kassner schaute von der Liste hoch.
    »Richard ist noch keine sechzehn«, sagte Karl, streifte die Armbinde über und nahm ein Gewehr in Empfang, das ihm Stanner zusammen mit der Munition und drei Stielhandgranaten übergab. Eine Pistole bekam er auch. Er quittierte den Erhalt der Waffen in einer Kladde.
    »Danke«, sagte Kassner. »Aber er heißt auch nicht Blummer.« Karl erbleichte. Stanner grinste.
    Kassner sagte genüßlich: »Er heißt Blum und ist ein dreckiger Judenbengel, einer aus der Sippschaft von deinem Scheißprofessor.«
    Karl zwang sich, ruhig zu bleiben.
    »Wer Juden versteckt, verrät die Volksgemeinschaft«, sagte Stanner. »Derzeit fackelt man nicht lange: ab ins KZ oder an den nächsten Baum, eher letzteres, schätze ich mal.«
    »So ist es!« Kassner fuhr sich mit dem Zeigefinger um den Hals.
    »Er heißt Blummer«, sagte Karl.
    Kassner lachte und hob mit spitzen Fingern ein Blatt Papier in die Höhe, wedelte damit. »Was haben wir denn hier Schönes? Eine Geburtsurkunde! – Und was steht da? – Richard Blummer!« Er holte eine Lupe aus einer Schreibtischschublade. »Und nun wollen wir mal alles durch ein starkes Vergrößerungsglas betrachten! – Oh, was sehe ich? Nein, so was aber auch!« Kassner säuselte süßlich: »So ein Mißgeschick! – Dem Schreiber muß nach dem ersten ›M‹ die Tinte ausgegangen sein!«
    Stanner ging zu Kassner hinter den Schreibtisch. »Tatsächlich. Man sieht genau, wo er die Feder wieder angesetzt hat. Er hat sie sogar gewechselt, Otto! Der Strich ab dem zweiten M ist deutlich dünner!«
    ›Sie wollen etwas von dir‹, dachte Karl. ›Sonst hätten sie ihn schon längst bei Burmeister gemeldet.‹
    Kassner faltete die Hände und sagte mit honigsüßer Stimme: »Tja, was machen wir denn da?«
    »Red nicht so lange um den heißen Brei herum! Sag, was du willst!«
    »Ein Agreement unter Gentlemen«, sagte Kassner. »Du bist doch mehr oder weniger für den Weinkeller verantwortlich. Ein gütlicher Vorschlag: Blummer bleibt Blummer, und du läßt dich nicht im Weinkeller blicken, wenn dir einer von uns Bescheid gibt.«
    »Die Bestände, die Ribbentrop eingelagert hat, werden in unregelmäßigen Abständen von einem Buchhalter aus dem Auswärtigen Amt überprüft.«
    »Das ist dein Problem«, sagte Kassner.
    »An den Endsieg scheint ihr mir nicht so recht zu glauben«, sagte Karl.
    Stanner und Kassner lachten.
    »Die Bewegung wird überleben, selbst wenn die Russen Berlin einnehmen sollten. – Woran du sie natürlich mit aller Kraft hindern wirst.«
    »Wieso ich?«
    »Befehl vom Verteidiger von Berlin – der Führer hat heute Doktor Goebbels diesen Ehrentitel verliehen. Alle ehemaligen Offiziere sind, ihren Fähigkeiten entsprechend, von den NSDAP -Kreisbevollmächtigten des Volkssturms – und das bin hier ich – zu verwenden .«
    ›Sie wollen sich absetzen‹, dachte Karl. ›Und sie sind sich offenbar verflucht sicher, daß sie es auch schaffen!‹ Karl ließ das Magazin aus der Pistole gleiten. Es war nur halbvoll. »Was bedeutet das in meinem Fall?«
    »Ruhm und Ehre!« sagte Kassner spöttisch. »Ich ernenne dich zu meinem Stellvertreter. Du wirst sofort mit der Schußwaffenausbildung beginnen.«
    »Diese alten Knarren gegen Stalinorgeln?« Karl lud die Pistole durch und richtete sie auf Kassner und Stanner.
    »Mach keinen Scheiß, Karl!« stammelte Kassner.
    »Ihr hört mir jetzt ganz aufmerksam zu, ihr Ratten!« Karl
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher