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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Anschein nach jegliche Bewegungsexzesse verabscheute. Aber weit gefehlt. Wer einmal Per Wilhelm Holtsen bei der Herbstjagd beobachtet hatte oder mit ihm im Fjell auf Skiwanderung gewesen war, hatte einen völlig anderen Holtsen kennengelernt, einen, der wie ein Nashorn oder Nilpferd durchaus in der Lage war, sich bei Bedarf überraschend geschmeidig und ausdauernd zu bewegen. In seiner Heimatstadt Laholm gewann er mit großer Regelmäßigkeit den jährlichen Holzfällerwettbewerb. Ein Foto, Holtsen mit einem hochgekrempelten karierten Wollhemd und in einer derben Arbeitshose zeigend, hing für die, die sehen wollten, deutlich hinter seinem Schreibtischsessel in der Göteborger GIK -Zentrale. Der Fleischberg Holtsen war von beachtlichen Muskeln durchsetzt.
    Der Bankier P. W. Holtsen trug einen bequem geschnittenen Flanellanzug bester Londoner Provenienz in dezentem Grau. Das Hemd, modischer weicher Kragen, war lindgrün und von feinen marineblauen Nadelstreifen durchbrochen. Die Krawatte mit dem aufgestickten Wappen verriet, daß ihr Träger an einer renommierten britischen Universität studiert haben mochte, zumindest aber signalisierte sie, daß er anglophil war.
    Die Unterhaltung im Raucherzimmer von Hus Trollhem wurde von allen Anwesenden auf deutsch geführt.
    »Meine Herren!« Holtsen ließ sich vorsichtig auf ein zierliches zweisitziges Sofa nieder und füllte es vollständig aus. »Bitte, bedienen Sie sich doch!« Seine Hände machten eine einladende Geste, deuteten auf die wohlbestallte Hausbar mit den geschliffenen Karaffen im Hintergrund. Auf einem niedrigen Glastisch neben dem Sofa stand ein Humidor. »Ich glaube, es wird für jeden etwas dabeisein. – Tron-Herman? Var så god!«
    Ein livrierter Hausdiener eilte herbei und reichte die Zigarrenbox auf einem Tablett aus Massivsilber herum. Die Herrenrunde teilte sich in Gruppen auf. Zwei Männer nahmen Holtsen gegenüber Platz. Der Ältere, Hans-Joachim Galgon, hatte sportlich kurz geschnittenes Haar. Die Art, wie er sich in dem lederbezogenen Clubsessel geradehielt, wie er quasi strammsaß, ließ unschwer auf seine Profession schließen. Überdies machte er einen durchtrainierten Eindruck, durchtrainierter zumindest als sein jüngerer, kettenrauchender Begleiter mit dem markigen bayrischen Akzent und dem glänzenden Oberlippenbart.
    ›Er hat ihn gewachst‹, dachte Holtsen, ›will seinem Chef nacheifern. Sollte dann auch Abstinenzler werden.‹
    Der jüngere Mann war zwar ebenfalls schlank und hochgewachsen, aber seinen Augenlidern konnte man ansehen, daß er einen regelmäßigen Tropfen nicht verachtete, ihn sich häufiger gönnte, als es ihm zuträglich war. Ihm fehlte völlig das Asketische, das der Ältere ausstrahlte – dennoch schien er von beiden das Sagen zu haben, jedenfalls richtete Holtsen das Wort zuerst an ihn: »Tron-Herman hat vorhin den Anruf entgegengenommen, während wir zu Tisch saßen. Die Antwort war, wie auch nicht anders zu erwarten, natürlich durch und durch positiv. Die Stockholm Enskilda Bank und, im Vertrauen gesagt, die Gebrüder Wallenberg höchstpersönlich haben ab sofort grünes Licht für unsere diversen Unternehmungen gegeben, Herr Doktor.«
    »Wunderbar!« sagte Doktor Bruno Randhuber und schlug sich auf die Schenkel. Die Asche seiner Zigarette bepuderte den Teppich um ihn herum. Er bemerkte es nicht. »Das ist ja grandios! Darauf müssen wir unbedingt gleich anstoßen!«
    »Grandios!« wiederholte Galgon. »Einfach grandios!«
    ›Es fehlt nicht viel, und sie führen ein Freudentänzchen auf‹, dachte Holtsen amüsiert.
    »Der Führer«, sagte Randhuber feierlich und strich sich mit einem nikotingelben Zeigefinger über den Oberlippenbart, »wenn der Führer erst an der Macht ist, werden wir nicht vergessen, wer von unseren germanischen Brüdern uns in den bitteren Zeiten der Not geholfen hat. Seien Sie dessen versichert, mein lieber Direktor Holtsen!«
    Doktor jur. Bruno Randhuber hatte die Angewohnheit, an der goldumrandeten Swastikaplakette im Knopfloch herumzuspielen, während er sprach. Er trug das Haar geringfügig länger als sein älterer Begleiter. Ein messerscharfer Seitenscheitel, auch darin erinnerte er an sein Idol, verlängerte die blasse Mensurnarbe auf der Stirn. Randhuber unterstrich seine Worte gestenreich und hatte eine geschulte, weittragende Stimme. Bevor er als Anwalt für Internationales Wirtschaftsrecht Parteikarriere gemacht hatte, war er in seiner Freizeit begeisterter Laiendarsteller einer
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