Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins
Autoren: Jürgen Ebertowski
Vom Netzwerk:
Gesicht. Glatteis war das vereinbarte Code-Wort, wenn etwas nicht nach Plan zu laufen drohte.
    »Gut«, sagte Holtsen. »Kassner. – Ich werde mir diesen Namen merken.«
    Tron-Herman stand an der Eichentür und schlug mit einem wattierten Klöppel an eine bronzene Klangscheibe. Sven Hedin ging als erster.
    »Aha, es ist soweit!« sagte Holtsen. »Lassen wir uns von dem Herrn Doktor in die entlegensten Regionen Tibets entführen.« Er ließ Randhuber und Galgon den Vortritt. Randhuber benutzte den von Tron-Herman dargebotenen Aschenbecher und drückte seine Zigarette aus.

2.
    E INE ALTEINGESESSENE W EINGROSSHANDLUNG IN B ERLIN- M ITTE MACHT M INUS
    Eine dicke Suppe, wie der Berliner sagt, kroch mit beginnender Abenddämmerung in die Stadt und zwang die Autoschlangen auf der Charlottenburger Chaussee zu Schrittempo. Am Brandenburger Tor regelten Schupos in weißen Regenumhängen den Verkehr. Gelegentlich riß der Wind Lücken in den Nebelfilm. Wenn man dann den Polizistenarmen beim Handzeichen »Aufpassen!« gen Himmel folgte, konnte man sehen, wie Fragmente der Quadriga auf die Linden zutrabten, erspähte hier ein graues Hufpaar, dort einen verschwommenen Pferdekopf und erahnte die Flügelspitzen der göttlichen Wagenlenkerin mehr, als daß man sie sah.
    Ein rostbrauner Opel mit einem Potsdamer Nummernschild fuhr durch das Brandenburger Tor und verlangsamte seine Fahrt auf dem Pariser Platz. Zwei Fußgänger, eng aneinandergeschmiegt, strebten auf das Adlon Hotel zu. Der Fahrer des Opel beugte sich nach rechts und wischte einen Sehschlitz in die Scheibe der Beifahrertür. Vor dem blitzenden Haupteingang des Hotels vollführte Pleschke, der Doorman , eine Art von verhaltenem Steptanz, um sich zu wärmen. Das »B« in der Leuchtreklame für die Adlon-Bar flackerte. ›Wenn Pleschke das nicht sofort der Technik gemeldet hat‹, dachte der Opelfahrer, ›kriegt der am Montag einen Anranzer von mir, den er so schnell nicht vergessen wird!‹
    An einem Laternenmast Unter den Linden/Ecke Wilhelmstraße hing ein durchweichtes Wahlplakat der NSDAP. Ein endloses Heer abgehärmter Frauen und Männer marschierte an einem imaginären Betrachter vorbei, offenbar Arbeitslose, alle jedenfalls in zerschlissener Kleidung, und über dem Haufen Elender prangte die blutrote Parole: »Uns kann jetzt nur noch der Führer helfen!«
    Es war Anfang Januar, und die nasse Kälte kroch nicht nur in die Kleider, sondern auch langsam ins Gemüt, fand der Opelfahrer und setzte den Winker.
    Er hatte Hedda am frühen Nachmittag zum Zug nach Potsdam gebracht. Kaum war er wieder in Neufahrland zur Tür herein gewesen, hatte das Telefon geläutet.
    »Herr Adlon?« hatte ihn der Anrufer gefragt, und die Stimme hatte verstellt geklungen, als ob sich der Sprecher die Nasenlöcher zugehalten hatte.
    »Am Apparat. Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«
    »Das tut im Moment wirklich nichts zur Sache«, hatte der Mann hastig gesagt. »Aber, falls es Sie interessiert: Man bereichert sich kräftig an Ihnen – und das nicht erst seit gestern!«
    »Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden«, hatte Louis Adlon geantwortet, »falls Sie nicht auf das Finanzamt anspielen.«
    Ein trockenes Lachen kam aus dem Hörer. »Das wäre ja eine noch durchaus legale Art, an Ihr Geld zu kommen. Nein, ich meine etwas ganz und gar Ungesetzliches nach dem Strafgesetzbuch, und das hat ja wohl noch ein klein wenig Gültigkeit.«
    »Ich höre!« hatte Louis Adlon gesagt.
    Der Anrufer hatte eine kurze Sprechpause eingelegt und sich dann geräuspert. »Vergleichen Sie doch spaßeshalber den Wareneingang an Champagner vom Dezember mit dem Lagerbestand, und meditieren Sie mal ein bißchen über die Differenz – und wie sie zustande gekommen sein mag!«
    Louis Adlon hatte daraufhin geschwiegen. Wer immer der Anrufer war, er hatte ein gehöriges Maß an Insiderwissen und seine Finger in eine schwärende Wunde gedrückt. Der beständige Schwund an bestem Champagner in der Adlonschen Weinhandlung in der Wilhelmstraße war mit herkömmlicher Schlamperei, wie sie in jedem größeren Haus hin und wieder auftreten mag, wirklich kaum mehr zu erklären.
    »Hallo? Herr Adlon? – Sind Sie noch dran?«
    »Ja, bin ich. – Reden Sie endlich! Was wollen Sie?«
    »Sie warnen«, hatte die Stimme genäselt, »und Ihnen einen klitzekleinen Tip geben.«
    »Bitte«, hatte Louis Adlon gesagt.
    Die Stimme war daraufhin flüsternd aus dem Hörer gekommen. »Verzichten Sie heute ausnahmsweise auf ein paar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher