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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Herrschaften mal ’nen Bejleiter zum Juwelier oder ’n Chauffeur broochn. Jedenfalls eener mit Bildung soll’t seen – un davon haste ja ’ne Hacke voll. So ’n simpler Rausschmeißer, wie ikket bin, der kommt da ja nich durch die Drehtür, ohne dasse nich gleich nach’n Bullen schrein, und dann hab ick jleich wieder die Bescherung.«
    ›Benno mit seiner zermanschten Boxervisage im Adlon !‹ dachte Karl und tupfte einen Tropfen Rasierwasser auf die Handfläche. Er rieb sein Gesicht damit ein und mußte grinsen, als er sich vorstellte, wie das Überfallkommando versuchen würde, Benno – zu dritt oder zu viert – zu bändigen, um sich schließlich mit merklich eingeschränktem oder gänzlich fehlendem Bewußtsein übereinandergestapelt in einer Ecke wiederzufinden. Allerdings hatte Benno auch etwas in Erfahrung gebracht, wo es hieß, auf der Hut zu sein:
    »Noch wat, Karl! Die Bewerber müssn übrijens ’ne Art Eichnungsprüfung bestehn. Der olle Adlon hat da so ’nen Heini aus’m Kohlenkella, den er uff die Bewerber hetzt. Wie sacht ihr Jebildeten doch, hab da mal wat uffjeschnappt: meenz Sahne in corpura Sahne, jedenfalls muß der Bewerber mit dem Kellerluden klarkommen, sonz is Essich mitter Stelle.«
    Der Wasserkessel trötete erneut und holte Karl aus seinem Wachtraum. In einem Regal neben der Kochmaschine lag die frische Leibwäsche. Er wählte in Anbetracht der feindlichen Witterungsverhältnisse eine angerauhte lange Unterhose und ein halbärmliges Unterhemd aus. Bei den Strümpfen zögerte er. Schneeregen klatschte gegen das Küchenfenster. Eigentlich waren die geringelten, handgestrickten von Maman angebracht, bloß würden sie kaum zu seinem braunen Anzug passen: also doch die grauen Baumwollsocken. Und den Anzug mußte er heute anziehen, auch wenn er aus einem leichten Stoff und mehr ein Anzug für herbstliche Tage, ein sogenannter Übergangsanzug, war. Leichter Stoff hin, leichter Stoff her, es war der einzige Anzug, mit dem er es noch wagen konnte, sich um eine Arbeit zu bewerben – immer gesetzt den Fall, er bewegte sich geschickt und hielt die kunstgestopfte Stelle an der linken Seitennaht verdeckt. Das gelang ganz gut, wenn er es wie Kaiser Wilhelm machte und den Arm in die Seite stemmte. Dann fiel auch nicht auf, daß der Mantel gleichsam das Prädikat Übergangsmantel trug und ebenfalls nicht fabrikneu war. Er mußte ihn bloß mit dem noch recht respektablen Futter nach außen nonchalant über den Unterarm drapieren. Das blütenweiße Leinenoberhemd und die Seidenkrawatte konnten sich allerdings sehen lassen. Karl stellte sich vor dem Spiegel auf und band einen klassischen Windsor-Knoten.
    Der Tee hatte ausreichend gezogen. Karl goß ihn durch ein Sieb in eine große Henkeltasse um. Er pulte ein Zuckerstück aus der bedruckten Papierhülle und schmunzelte, als er sich an den Abend mit Marita im Weinhaus Huth erinnerte. Seine Verflossene, mit der er sich gelegentlich zum Plaudern traf, hatte ihn neulich zu Recht geneckt, als er die nicht gerade niedrige Rechnung beglichen hatte. »Immer so tun, als hättest du einen Dukatenesel im Keller. Na, Karlchen, bin echt gespannt, wie lange dein Schotter noch reicht! Irgendwann krieg ich dann ’ne Ansichtskarte von dir aus’m Schuldturm.«
    Karls Barschaft, zwei Wochen nach dem Abend im Weinhaus Huth , lag neben dem Margarinebecher und war überhaupt nicht mehr beeindruckend. Karl hätte eigentlich weinen müssen, aber im Gegenteil, er summte eine Melodie, die bestimmt kein Trauermarsch war. Zugegeben, es war eine gehörige Portion Zweckoptimismus dabei. Wenn er die Stelle nicht bekommen sollte, würde ein letzter Gang zur Pfandleihe bleiben, und dann wäre endgültig Schluß, aus, finito.
    Langsam wurde es in der Küche warm. Karl, noch im Besitz seiner goldenen Manschettenknöpfe mit dazu passender Krawattennadel, schmierte sich ein Brot und kratzte den kümmerlichen Rest Kirschmarmelade aus dem Glas. ›Hausdetektiv im Adlon ‹, dachte er, ›hört sich nicht schlecht an!‹

4.
    K ARL KAUFT EINE GELBE N ELKE
    Punkt acht verließ er die Wohnung, gestiefelt und gespornt , wie er es nannte, wenn er seine guten Sachen trug. Zwischen halb neun und neun sollte er sich zu dem Vorstellungsgespräch einfinden, das er telefonisch mit einem Herrn Engel, dem Hotelpersonalchef, vereinbart hatte. Er fuhr mit der Elektrischen bis zum Alex und hielt dort ein Taxi an, nicht weil die Zeit drängte, sondern weil es einfach einen besseren Eindruck machte,
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