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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins
Autoren: Jürgen Ebertowski
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zurücksetzte, um an dem Horch vorbeizulenken, trat auf ein Kopfnicken des Portiers einer der Pagen auf ihn zu. »Darf ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    Karl schüttelte den Kopf. Kurz bevor er die gläserne Drehtür erreichte, sah er die Blumenfrau. Sie stand am Straßenrand neben einem Laternenpfahl und hatte auf einer Fußbank drei Eimerchen mit verschiedenfarbigen Nelken und Rosen, als gelte es, für alle politischen Gruppierungen oder Parteien etwas parat zu haben. Sie hielt einen Regenschirm, der dick mit den wattigen Flocken bedeckt war, ein weißer Baldachin, der vermutlich nicht lange halten würde, denn Schnee- und Regenschauer wechselten in diesem Januar unberechenbar miteinander.
    Karl fühlte in der Jackettasche nach dem Markstück, ließ die fünf Groschen für die Rückfahrt und für den Kaffee bei Aschinger stecken, und kaufte der Frau eine gelbe Nelke ab. Die Frau knickste, als er auf das Wechselgeld verzichtete. Die Schneelast auf ihrem Schirm geriet dabei ins Rutschen. Karl sprang lachend einen Schritt zurück. »Danke, Frau Holle!« Er steckte sich die Nelke ins Knopfloch, zupfte den Krawattenknoten zurecht, betrat die Vorhalle und schob sich durch eine der Drehtüren.

5.
    K ARL MACHT IN DER › A DLON‹- L OBBY EINE KURZE, ABER INTENSIVE Z EITREISE
    Und nach Jahren der Abwesenheit von Berlin, von Deutschland, von Europa tauchte er wieder in die wunderbare Welt dieses Hauses ein. Er sah es mit einem Blick, spürte es, als er die geschäftige Stille der Eingangshalle durchschnitt, ja er roch es förmlich, daß dieses Hotel immer noch zu den großen seiner Art gezählt werden mußte, und war wieder gefangengenommen von diesem ganz speziellen Flair aus Eleganz, Luxus und kosmopolitischer Atmosphäre. Es war ein Flair, das sich trotz der einschneidenden Kriegsfolgen, trotz überstandener Inflation und katastrophaler Wirtschaftslage nur unwesentlich verändert hatte. Und er erinnerte sich, wie er das Hotel zum ersten Mal anläßlich seines Leutnantsballs betreten hatte, voller Begeisterung für Kaiser, Volk und Vaterland. Karl erinnerte sich aber auch, als er sich in der großen Eingangshalle umschaute und dann in Richtung Rezeption ging, an seinen letzten Aufenthalt im Adlon , kurz bevor der Weltkrieg zu Ende gegangen war; erinnerte sich, wie Maman und der Vater in genau dieser Halle auf ihn gewartet hatten, als er, einen weiteren Stern auf den Epauletten und das EK 1 nebst diverser Verwundetenabzeichen an der Brust, auf sie zugehumpelt war, mit einem Bein voller umherwandernder Schrapnellsplitter, von denen einige ihm auch jetzt noch gelegentlich zu schaffen machten – erinnerte sich, wie Maman geweint hatte, als er sie umarmt hatte, erinnerte sich, daß er bereits damals durch die Erfahrung in den flandrischen Schützengräben restlos und nachhaltig und quasi am eigenen Leib kuriert gewesen war von jedweder Art von Hurrapatriotismus und politischen Verführungskünstlern.
    Karl hatte im Schlamm vor Verdun den Glauben verloren, daß es irgend etwas auf der Welt gab, für das es sich mit der Waffe zu kämpfen lohnte. Gardefeldartillerie-Oberleutnant Karl Siegfried Meunier, der vom Temperament eher ein Mann des begütigenden Ausgleichs war, der bei Streitigkeiten stets zu einem Kompromiß riet, der immer etwas zugunsten eines Beschuldigten fand, Karl hatte seine Lektion gelernt. Was ihm vorher nie möglich gewesen war, zumindest nicht in dieser Intensität, hatte er auch gelernt. Karl hatte zu hassen gelernt: Kriege und diejenigen, die sie verherrlichen.
    Manchmal, wenn er nicht einschlafen konnte, sah er die französische Batterie in der Talmulde vor Reims, wie sie noch versucht hatten, die Geschütze zu richten. – Sie waren zu langsam gewesen, die Franzosen, er hatte bereits Feuerbefehl erteilt. Am nächsten Morgen war er an den zerfetzten Leichenteilen vorbeigezogen. Er hatte sich wie die meisten seiner Leute übergeben müssen. »Die Franzosen haben rote Hosen, blaue Jacken, verkackte Hacken …«, hatte danach selbst Unteroffizier Kassner, ein ausgemachter Franzmannhasser, nicht mehr gesungen.
    Als er vor der Rezeption stand und sich räusperte – der Empfangssekretär hinter der Barriere war über ein Formular gebeugt, das er ausfüllte –, hatte Karl sich wieder in der Gewalt. Er produzierte sein strahlendstes Lächeln. »Pardon, ich habe einen Termin mit Herrn Engel – mit dem Personalchef.«
    »Wen darf ich bitte melden?« Der Empfangssekretär griff zum Telefon.
    »Meunier, Karl
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