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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01
Autoren: Douglass Sara
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Hand über Euch halten und Eure Schritte sicher lenken.«
    Axis sah sie mit gerunzelter Stirn an und entdeckte, daß sie nicht ganz so alt war, wie es auf den ersten Blick schien. Sie mochte in den mittleren Jahren sein, immer noch hübsch, und durch ihr silbernes Haar zog sich ein goldener Streifen. Die Frau verstand sich auf die höfische Art und befleißigte sich einer gewählten Sprache. Ihre grauen Augen blickten gefaßt drein, und ihr ganzes Wesen drückte Ruhe aus, obwohl sie doch einem Mann gegenüberstand, der sie mit einem einzigen Hieb seines Schwerts entleiben konnte. Was trieb eine solche Frau dazu, sich unter die Unaussprechlichen zu mischen?
    »Ich würde den Segen gern entgegnen«, erwiderte der Krieger, »nur hielte Artor seine Hand niemals über ein Weib, das schon seit langer Zeit unter den Unaussprechlichen lebt.«
    Goldfeders Blick verhärtete sich unter diesen Worten. Die Axtschwinger hatten immer schon geglaubt, alles zu wissen, und dieser General erschien ihr noch anmaßender zu sein als der Anführer, den sie in ihrer Jugend gekannt hatte. Aber warum hatte er den Priester noch nicht durchbohrt? Wieso zögerte er?
    »Verlangt Artor Ramus Leben?« fragte sie und verriet ihm damit den Namen des Awaren. Es fiel einem immer schwerer, einen Mann zu töten, dessen Namen man kannte, als einen vollkommen Fremden. »Was hat Ramu verbrochen, daß er unter Eurem Schwert sterben muß?« Axis’ Züge spannten sich an, und Goldfeder erkannte, daß ihm in der Tat Zweifel an seinem Vorhaben gekommen waren. »Ich habe keine Ahnung, was in der letzten Nacht geschehen ist, aber aus Aschures Erzählung schließe ich, daß sie die Verbrechen begangen hat. Deshalb tötet keinen Mann, der mit ihren Verfehlungen nichts zu tun hat.«
    »Ich bin der Axtherr der Bruderschaft des Seneschalls, und ich bin dem Seneschall verpflichtet«, entgegnete Axis, aber sein Tonfall verriet, daß er mit diesen Worten mehr sich selbst als Ramu oder die Frau zu überzeugen versuchte.
    »Nein«, erwiderte Goldfeder sanft, »Ihr dürft nur das tun, was Euch Euer Herz befiehlt. Und nicht das, was der Seneschall Euch aufgetragen hat. Eure Pflicht sollte darin bestehen, stets dem Weg zu folgen, den Ihr für richtig haltet.« Sie schwieg kurz, um diese Worte auf ihn wirken zu lassen, und fuhr dann fort: »Erscheint es Euch recht, Ramu die Schwertspitze an den Hals zu drücken, einem geehrten und geachteten Mann seines Volks? Einem Mann, der Euch oder den Euren keinen Schaden zugefügt hat?«
    Diese Fragen lösten bei Axis eine Wirkung aus, die Goldfeder von einem Axtherrn nicht erwartet hätte. Der Mann zuckte zusammen.
    »Aber wer sind die Meinen?« fragte er leise und richtete den Blick auf den Unaussprechlichen. »Wer ist mein Volk?«
    Goldfeder sah ihn verwirrt an. Was redete der Mann da? Unvermittelt hob er den Kopf und starrte sie mit gequältem Blick an. »Herrin, was wißt Ihr über die Ikarier?«
    Sie wiegte den Kopf, denn mit einer solchen Frage hätte sie niemals gerechnet. Doch die inneren Qualen, die der Axtherr litt, gingen ihr nahe. »Ich kenne sie sehr gut.«
    »Dann sagt mir, ob sie singen.«
    Die Erinnerung senkte sich wie ein dunkler Schleier über Goldfeders Augen, und sie lächelte in sich hinein. »O ja, sie singen auf ganz magische Weise. Denn der Gesang ist ihr Geschenk an das Land und an die Sterne. Alle Ikarier singen, und die Musik liegt ihnen im Blut. Und ihre Zauberer singen mit der Kraft und Schönheit der Sterne selbst.«
    Axis war anzusehen, daß die unterschiedlichsten Gefühle in ihm stritten. Die Frau trat einen weiteren Schritt vor, um ihm eine Hand auf den Arm zu legen. Aber er zuckte unter der Berührung zusammen und hielt sofort den Griff seiner Waffe fester. Goldfeder zog die Hand zurück.
    »Wer bin ich?« fragte er leise und so, als leide er furchtbare Seelenpein. »Wer bin ich?«
    Sie öffnete den Mund, wußte aber gar nicht, wie sie ihn trösten sollte. Axis starrte sie flehentlich an und ließ unerwartet von Ramu ab.
    »Geht, Aware!« befahl er mit müder, tonloser Stimme. »Ich habe kein Recht, Euch festzuhalten. Fort mit Euch!«
    Ramu setzte sich auf. Blut lief ihm am Hals hinab, und der Schmerz des zerschmetterten Fußgelenks hatte sein Gesicht grau verfärbt. Goldfeder half ihm auf, legte sich seinen Arm um die Schulter und stützte ihn. Die beiden wandten sich von Axis ab und schleppten sich auf Awarinheim zu. Erst am Waldrand blieben sie stehen, und Ramu drehte sich noch einmal nach dem
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