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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond
Autoren: N Vosseler
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sich.
    »Das war knapp!«, kam die Bestätigung vom Platz gegenüber, nicht minder außer Atem. »Hätte – hätte dieser verfluchte Dampfer auch nur ein paar Minuten später angelegt, hätten wir sehen können, wo wir heute Nacht unterkommen!«
    »Immerhin hat die ›P&O Steam Navigation Company‹ ihrem Ruf alle Ehre gemacht und uns zwei Tage früher als geplant von Alexandria nach London befördert! Abgesehen davon: Eine Nacht in London hätten wir schon irgendwie hinter uns gebracht«, meinte Jonathan mit einem Augenzwinkern. Ein vielsagendes Zucken heller Augenbrauen war die Antwort, begleitet von einem kehligen Laut, halb Knurren, halb Schnurren, und beide brachen in einstimmiges Gelächter aus.
    Der Zug gewann an Geschwindigkeit, ruckelte und polterte, als er über eine Weiche fuhr. Vor den im bläulichen Zwielicht des Nachmittags vorbeiziehenden Hausfassaden zeigte das moderne Panoramafenster ein schwaches Spiegelbild des Abteils. Jonathan musterte kritisch seinen durchscheinenden, leicht unscharfen Doppelgänger, als er sich über die schweißglänzende Stirn fuhr. Von Natur aus dicht und lockig, warf sein kastanienbraunes Haar aufgrund des von der Armee vorgeschriebenen kurzen Schnitts lediglich noch Wellen, die sich aber dennoch nur mit Mühe und extra viel Pomade bändigen ließen. Nach ihrer Hetzjagd durch die Straßen Londons standen einzelne Strähnen wie Teufelshörner ab. In glättender Absicht fuhr er sich mit den Handflächen über den Kopf, doch seine Bemühungen blieben erfolglos; immer wieder sprangen die Haarkringel wie elastische Sprungfedern in die Höhe. Und selbst in den ausgewaschenen Farben der Spiegelung biss sich der Rotstich seines Haares noch mit dem Scharlachrot des Uniformrocks. Er unterdrückte ein Seufzen und fühlte sich gleich darauf bei diesem Anflug von Eitelkeit ertappt, als er aus dem Augenwinkel einen amüsierten Blick auffing.
    »Du hast gut lachen«, verteidigte Jonathan sich angriffslustig, »du wirkst immer wie aus dem Ei gepellt!«
    Mit einer Spur von Neid hatte der sonst so großzügige Jonathan den Lieutenant gemustert, der nach ihm in die Kabine getreten war, die sie sich während der Überfahrt von Kalkutta nach Suez geteilt hatten. Dieser Lieutenant war genau jener Typ Mann, der mit seinen ebenmäßigen, aristokratischen Zügen jungen Damen einen verklärten Glanz in die Augen zauberte. Die Khaki-Uniform mit dem weinroten Besatz an Kragen und Ärmelaufschlag schien perfekt auf sein sandfarbenes Haar und den leicht gebräunten Teint abgestimmt, und er trug sie mit einer natürlichen, kraftvollen Eleganz. Jonathan hingegen schien auf ewig dazu verdammt, der gute Freund zu sein, bei dem sich die holde Weiblichkeit ausweinte, wenn ihr ein Mann vom Schlage des Lieutenants das Herz gebrochen hatte. Dass sich die Kerben links und rechts von Jonathans Mundwinkeln beim Lächeln zu Grübchen vertieften, sich dabei die winzige Lücke zwischen seinen oberen Schneidezähnen zeigte und ihm so auch mit bald Ende zwanzig das Aussehen eines Lausbuben verlieh, machte es nicht besser.
    Doch die entwaffnende Offenheit in den kieselgrauen Augen, als der Lieutenant ihm die Rechte entgegengestreckt und sich als Ralph Garrett vorgestellt hatte, besänftigte sogleich Jonathans Gefühl von Missgunst. Als er sein Gegenüber dann noch anhand der Uniformfarben als Angehörigen des Corps of Guides identifiziert hatte, war Jonathan sogar ziemlich beeindruckt gewesen. Wer dieser Elitetruppe der Königlichen Armee in Indien angehörte, konnte kein verweichlichter Drückeberger sein! Was sich rasch bestätigte, denn mit Ralph ließ sich trefflich trinken und Anekdoten über den Militärdienst in Indien austauschen. Und selbst ein Ralph Garrett kannte diese gewisse Art von Liebeskummer, gegen die nur Unmengen von Whisky halfen. Noch ehe die Precursor Kurs auf die hohe See genommen hatte, hatten die beiden Freundschaft geschlossen.
    »Wie bitte?!« Irritiert sah Ralph nun an sich herunter. Seine eng anliegenden Hosen waren fleckig, die Stiefel staubig, der Uniformrock an den Achseln durchgeschwitzt. Und er spürte, dass sein sonst säuberlich gescheiteltes Haar zerwühlt war, einzelne Strähnen an seinen glühenden Schläfen klebten. »Du machst wohl Scherze, mein Freund! Oder bist du blind?!«, schalt er Jonathan gutmütig. Mit den Fingerspitzen fuhr er sich über die Bartstoppeln auf Kinn und Wangen, was ein scheuerndes Geräusch ergab. »Deine Eltern werden schöne Augen machen, wenn wir wie
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