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Unter Bruedern

Unter Bruedern

Titel: Unter Bruedern
Autoren: Noah Berg
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einen Schritt auf ihn zu.
    Hendrik dreht sich zur Seite und sieht seinem Kontrahenten direkt in die Augen, so wie Björn es ihm geraten hat.
    Es ist eine ungewohnte Situation für ihn. Er kann sich nicht erinnern, Andre schon einmal so direkt angesehen zu haben.
    Auch dieser scheint für den Bruchteil einer Sekunde irritiert, bevor er ihn anfährt:
    „Hey, Mamasöhnchen! Wollen doch mal sehen, was der Sportunterricht heute so für Dich an Überraschungen bereit hält!“
    Mit Blick auf seine Kumpane fährt er feixend fort: „Will mir nicht nachsagen lassen, ich hätte ihn nicht gewarnt.“
    Danach passiert alles irgendwie gleichzeitig.
    Im Geiste sieht Hendrik den zerstörten Kopfhörer seines Walkmans auf dem Boden im Gang des Busses liegen. Und er sieht sich, wie er die Überbleibsel heulend und vor Gott und der Welt ein weiteres Mal bloßgestellt, aufsammelt. Er spürt wieder die Papierkügelchen, die seinen Kopf im Unterricht treffen.
    All die Beleidigungen und Verunglimpfungen die Andre ihm je an den Kopf geworfen hat, scheinen sich mit einem Mal Bahn zu brechen und übermannen Hendrik regelrecht.
    Gleichzeitig hallen Björns Worte in ihm wider.
    Ohne weiter nachzudenken, ohne jegliches Zögern, stellt Hendrik seine Tasche auf den Boden und holt mit aller Kraft aus. Seine Faust, Daumen außen, so wie sein großer Bruder es ihm gezeigt hat, landet mit voller Wucht in Andres Gesicht.
    Er sieht die Überraschung in dessen weit aufgerissenen Augen und gleichzeitig sieht er Blut aus Andres Nase schießen, das schnell dessen Kinn hinabläuft und Hals und T-Shirt besudelt.
    Wie ferngesteuert holt Hendrik erneut aus und landet einen zweiten Treffer. Dieses Mal kracht es laut, ohrenbetäubend wie Hendrik findet, und ihm wird schlagartig klar, dass er soeben Andres Nase gebrochen haben muss.
    Andre schreit laut auf, fasst sich entsetzt mit beiden Händen an die blutende Nase und krümmt sich vor Schmerzen. Es fließt nun noch mehr Blut.
    Andres Stimme ist plötzlich nur noch ein schrilles Kreischen:
    „Der Typ hat mir die Nase gebrochen! Der Wichser hat mir gerade die Nase gebrochen!“
    Andres Gekreische irritiert Hendrik für einen Augenblick. Zu sehr erinnert es ihn an das typische Gekreische pubertierender Mädchen, die die Fassung verlieren, wenn zu Beginn eines Konzerts ihr Idol die Bühne betritt.
    Die anderen sind zurückgewichen und glotzen wie zu Salzsäulen erstarrt abwechselnd von Hendrik zu ihrem blutenden Anführer.
    „Schnappt ihn euch und macht ihn fertig!“
    Wieder dieses Mädchengekreische, denkt sich Hendrik unbeeindruckt.
    Aber niemand bewegt sich. Auch Hendrik verharrt in seiner Position.
    „Ihr Idioten!“, ruft Andre laut aus.
    „Macht doch was!“
    Hendrik sieht zu den anderen hinüber, die aber nach wie vor keine Anstalten machen, den Aufforderungen ihres Rudelführers nach zu kommen.
    Er sieht wieder zu seinem Kontrahenten und sieht all das Blut.
    Er hofft, Andre wird nicht seinetwegen verbluten.
    Dann stellt er erstaunt fest, dass er sich nicht schuldig fühlt. Er hat gerade jemandem die Nase gebrochen und empfindet keinerlei Schuld.
    Aber auch die erhoffte Genugtuung, von der er sicher war, sie zu empfinden, sollte er jemals in der Lage sein, Andre die Stirn zu bieten, will sich nicht recht einstellen.
    Eigentlich fühlt er sich nur seltsam leer und seine Hand schmerzt entsetzlich.
    Schließlich dreht er sich um, nimmt seine Tasche vom Boden auf und betritt, von weiteren Attacken unbehelligt, die Sporthalle.
     
     
    *
     
     
    Im Laufe des Tages hat sich schließlich doch noch so etwas wie Genugtuung in Hendrik breitgemacht. Er ist stolz auf sich. Nicht unbedingt darauf, jemandem die Nase gebrochen zu haben. So ist er einfach nicht. Aber doch darauf, endlich den Mut gehabt zu haben, sich gegen Andre zur Wehr zu setzen. Und das mit Erfolg.
    Er weiß, dass die Rauferei Konsequenzen nach sich ziehen wird. Aber im Moment ist ihm das egal. Andre ist zum Sportunterricht heute Morgen nicht mehr erschienen. Nur seine Kumpane waren im Unterricht, haben Hendrik aber in Ruhe gelassen und fast erschien es ihm, als hätten sie sogar bewusst Abstand zu ihm gehalten.
    Er ist heute Morgen vielleicht etwas übers Ziel hinaus geschossen. Aber irgendwie findet er sich, als er im Bus auf dem Weg nach Hause sitzt, schon ziemlich cool.
    „Du hast ihm die Nase gebrochen?“, fragt Daniela ungläubig grinsend.
    Auf dem Weg zu ihren Freundinnen, die weiter hinten im Bus sitzen, bleibt sie kurz an Hendriks
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