Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Unsichtbare Kräfte

Titel: Unsichtbare Kräfte
Autoren: Hans Dominik
Vom Netzwerk:
ist Wahrheit! Ich selbst sah, wie Hogans Diener seinen Herrn ins Boot brachte und ihn über den Fluß setzte.«
    Unter dem Bann ihrer zweifelnden Augen sprach er weiter: »Ich war zu später Stunde noch in den Garten gegangen, allerhand Gedanken nachhängend. Kam hierher, hörte Ihren Schrei, sah, wie Sie fielen. Nachher eilte ich den Hang hinab und stellte fest, was ich Ihnen vorhin erzählte!«
    Er schob den Arm unter Vivians Achsel und richtete das Mädchen auf. »Sie müssen ins Haus zurück, dürfen nicht länger hierbleiben. Es könnte jemand kommen. Raffen Sie Ihre Kraft zusammen!«
    Mit dankbarem Lächeln stützte sich Vivian auf Arvelins Arm. Doch ihre Glieder versagten. Halb bewußtlos strauchelte sie aufs neue. Hilfsbereit hatte Arvelin die Sinkende aufgefangen und trug sie nun in eiligem Lauf ins Schloß.
    Wochen waren vergangen. Eine Reihe schöner, warmer Herbsttage hatte Sir Doherty veranlaßt, die Abreise nach London zu verschieben. Unter der glasbedeckten Halle saß die Familie beim Lunch. Phil hüpfte dem Diener entgegen, der die Post brachte.
    »Oh! Etwas aus Brasilien?« Fröhlich schwenkte er einen Brief durch die Luft.
    Alle sahen neugierig Doherty zu, der den Umschlag öffnete. Dr. Arvelin streifte mit einem schnellen Seitenblick Vivian, auf deren Antlitz Blässe und Röte wechselten. Jetzt hatte Doherty das Schreiben entfaltet.
    »Oh - eine große Neuigkeit! William Hogan zeigt seine Verlobung mit Fräulein Potter in Rio de Janeiro an.«
    Noch ehe die anderen den Sinn der Worte erfaßt hatten, flogen aller Augen zu Dr. Arvelin, der aufgesprungen war und die ohnmächtige Vivian in den Armen hielt.
    Die weiteren Ereignisse des Tages überstürzten sich in rascher Folge. Vivian, von ihrer Mutter zu Bett gebracht, hatte in wirren Fieberträumen verraten, wie es um sie stand. Die Eltern, niedergeschmettert von dem Furchtbaren, konnten es nicht begreifen. Die einzige, die eine Erklärung abgeben konnte, Vivian selbst, schien mit dem Tode zu ringen.
    Unmöglich, jetzt an die Abreise zu denken. Die schottischen Wälder lagen im ersten Schnee, und noch immer war man in Doherty-Hall.
    *
    Finstere, Sternenlose Nacht. Wieder öffnet sich die Hintertür des Landsitzes. Eine Gestalt schreitet wie im Schlafwandel der Plattform zu, schwingt sich über die Mauer. Vorsichtig, Fuß vor Fuß setzend, klettert sie den steilen Hang hinab. Beschleunigt unten ihre Schritte, eilt dem Flusse zu.
    Jetzt hält sie jäh an, wendet den Kopf zurück. Ihre Augen durchdringen das Dunkel ... Nichts zu sehen. Und doch! Hatte ihr Ohr nicht den Ruf »Vivian« vernommen?
    Sie wendet sich, schreitet weiter. Da! Hört sie nicht plötzlich das Keuchen eines Menschen, der hinter ihr her eilt? Sie beginnt zu laufen. Nichts zu sehen - und doch wieder der heisere Ruf: »Vivian!«
    Unaufhaltsam eilt sie ihrem Ziele, dem Flusse, zu. Springt auf eine Steinplatte, die weit über das Ufer hinausragt. Stürzt sich in jähem Schwung in die dunkle Flut.
    *
    Wieder standen die schottischen Wälder in herbstlichem Farbenspiel. Aber Doherty-Hall blieb unbewohnt. Nach den furchtbaren Ereignissen des vergangenen Jahres hatten die Dohertys es gemieden. In ihrem Londoner Haus standen die Koffer gepackt. Sir Doherty war im Begriff, mit seinen Angehörigen nach Kalkutta zu fahren, wo er eine hohe Stellung bekleiden sollte. Noch einmal drückte Dr. Arvelin den kleinen Phil an sein Herz, sprach liebevoll auf den weinenden Knaben ein. Noch ein herzlicher Händedruck an die Eltern. Dr. Arvelin wandte sich, um seine Rührung zu verbergen, um und schritt schnell aus der Halle.
    *
    An jenem Stein, der zuletzt Vivians Fuß getragen, ehe sie den Tod in den Fluten suchte, stand Dr. Arvelin. Das Mondlicht, das durch die Uferbäume brach, weckte ihn aus seinem Sinnen. Fröstelnd zog er den Mantel enger um die Schultern, ging langsam flußabwärts.
    Eine kleine Viertelstunde mochte er gegangen sein. Wieder wandte er sich dem Ufer zu. Ein Weidenbaum neigte seine Zweige bis auf den Wasserspiegel. Hier war’s, wo er mit Aufbietung seiner letzten Kräfte, die Gerettete im Arm, aus dem Wasser kam.
    Er kehrte jetzt dem Fluß den Rücken. Vor ihm führte ein schmaler Pfad zu einer Hütte, die, halb versteckt, sich ins Schilf duckte. Dorthin war er damals mit Vivian geeilt. Eine alte Fischerwitwe wohnte in dem Häuschen. Sie kannte Vivian von Kindheit an.
    Jene Schreckensnacht verging. Im Morgengrauen hörte das alte Fischerweib den letzten Seufzer Vivians ...
    Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher