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Unsichtbare Kräfte

Titel: Unsichtbare Kräfte
Autoren: Hans Dominik
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Der Knabe, bis dahin ein schwächliches, nervöses Kind, wurde unter Arvelins Leitung von Grund auf verändert. Geistig und körperlich blühte er auf, und das Verhältnis des Doktors zur Familie gestaltete sich im Laufe der Zeit immer inniger. Nichts im Hause geschah, ohne daß man ihn zur Teilnahme aufforderte, obwohl sein schüchternes, linkisches Wesen zu dem rauschenden Gesellschaftstrubel schlecht paßte.
    Als sich herausstellte, daß Dr. Arvelin sich aus Liebhaberei mit physikalischen Studien beschäftigte, richtete ihm Sir Doherty im turmartigen Giebel des Hauses ein Laboratorium ein. Hier verbrachte der Doktor fast alle freien Stunden.
    Das Personal des Schlosses hatte einen heiligen Respekt vor dem Gelehrten. Unter den Dienstboten lief allerlei Gemunkel um über sein geheimnisvolles Treiben; nur scheu betraten sie den Turm.
    Der Tochter des Hauses, Vivian, begegnete Dr. Arvelin stets mit rührender Ergebenheit. Soweit es seine Stellung erlaubte, suchte er jeden ihrer Wünsche, kaum daß er geäußert worden, mit emsiger Beflissenheit zu erfüllen.
    Langsam schlenderte Vivian dem Haus zu, traf in der Halle den kleinen Bruder, der mit Appetit seine Mahlzeit verzehrte.
    »So allein, Phil?«
    »Ja, Vivian! Dr. Arvelin ist noch einmal zurückgewandert. Er hat unterwegs seinen Stock verloren. Weil er ein wertvolles Andenken ist, will er ihn suchen.«
    *
    Fahles Mondlicht lag über dem Park. Aus einem Pförtchen an der Rückseite des Hauses schlüpfte eine weibliche Gestalt. In ein dunkles Tuch gehüllt, eilte sie über den mondbeschienenen Platz und verschwand in den Bosketten. Vorsichtig im Schatten der Sträucher und Baumgruppen bleibend, pirschte sich Vivian über den Rasen zu einem Weg, der zu der Brüstung der großen Plattform führte. Dort senkte sich der Fels weniger steil zur Flußniederung.
    Ein sausender Windstoß vom Meere her fuhr durch die breiten Äste der hohen Platanen. Fröstelnd zog Vivian das Tuch enger um die Schultern.
    Angestrengt horchte sie nach dem Flusse. Endlich ein schriller Pfiff vom Wasser her. Vivian schrak zusammen, eilte unwillkürlich zur Brüstung, starrte in das Halbdunkel über der Tiefe.
    Wird William sein Versprechen gehalten und mit seinem Vater gesprochen haben? Was sollte aus ihr werden, wenn Lord Roßmore seine Einwilligung verweigerte? Die Eltern - der strenge Vater, was würde er mit ihr tun?
    Ihr Herz pochte wild. Ein zweiter, leiser Pfiff vom Fuß der Felsen. Hastig richtete sie sich auf, blickte voll banger Erwartung in die Tiefe.
    War die Entscheidung gefallen? Hatte Lord Roßmore den Bitten seines Lieblingssohnes widerstehen können? Nein! Nein! Es konnte, durfte nicht sein!
    Poltergeräusch eines fallendes Steines ließ sie aufmerken. Aus dem Schatten eines Strauchs tauchte die Gestalt eines Mannes, der langsam den steilen Hang heraufkletterte. Vivian winkte mit einem kleinen Tuch dem Ankömmling zu, der jetzt schneller zu steigen begann. Noch ein paar Schritte, und er hatte den Fuß der Mauer erreicht.
    »William! ... Bringst du gute Kunde?« kam es flüsternd von den Lippen des Mädchens.
    Der Kletterer antwortete nicht, legte die Rechte auf die Brüstung, zog sich empor, um sich herüberzuschwingen.
    Beim Anblick seiner bleichen, erregten Züge prallte Vivian zurück, preßte die bebende Hand aufs Herz.
    »William!« wollte sie rufen, doch ihre Stimme versagte.
    Hogan, die Augen auf Vivian gerichtet, wollte sich eben mit letzter Anstrengung über die Mauer werfen, da ... ein heiserer Laut der Überraschung, des Schreckens: Seine weit aufgerissenen Augen starrten auf die Gestalt Arvelins, die plötzlich, wie aus dem Boden gezaubert, hinter Vivian stand und ihm drohend die Faust entgegenreckte.
    Gelähmt von dem spukhaften Bild, versagten Williams Kräfte. Seine Finger glitten von den Steinen ab; vergeblich suchten die Füße Halt. In schwerem Sturz fiel der Körper zurück, rollte, sich überschlagend, den Hang hinab.
    Ein Schrei des Entsetzens kam aus Vivians Mund. Angstbetäubt taumelte sie zur Mauerbrüstung und sank dann ohnmächtig zu Boden.
    Wie lange sie gelegen, wußte sie nicht. Als sie die Lider hob, drang die Stimme Arvelins an ihr Ohr. Seine Hand strich beruhigend über ihre angstvoll starrenden Augen.
    »Keine Sorge, Vivian! William Hogan lebt! Eine ungefährliche Fußverletzung - er wird bald wiederhergestellt sein!«
    Eine leichte Röte huschte über Vivians blasse Züge. »Sie lügen nicht, Dr. Arvelin? Es ist Wahrheit?«
    Arvelin nickte. »Es
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