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Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Titel: Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Autoren: Bente Varlemann
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draußen zu hören und den Gestank der Straße zu riechen.
    In solchen Momenten fühle ich mich lebendiger, als Teil dieses ganzen Irrsinns, der sich das Leben oder die Welt oder Hamburg schimpfen lässt. Ja, ich bin oft genervt von diesen dreien, aber im Endeffekt ist es doch so: Sie stören mich, weil sie mir so sehr vertraut sind. Ich bin mir vertrauter geworden, den anderen auch, ich mag mein Leben, und ich mag diese Stadt. So sehr, dass ich sie manchmal verlassen muss, nur um zu bemerken, wie sehr sie mir fehlt. Und dass ich ihr fehle.
    Ich wohne jetzt schon seit über sieben Jahren in dieser Stadt, dieser Stadt aus Wasser und waberndem Nebel und vielen Menschen und Keine-Zeit-Haben und Mehr-Zeit-haben-Wollen. Aus sich Seine-Freiheit-bewahren-Müssen, aber kein Single-mehr-sein-Wollen. Alles, bloß kein Single mehr sein wollen.
    Und immer nach «Möglichkeiten» suchen, und dann an den Hafen gehen und Schiffe gucken und abends in viele leere Gläser gucken. Und immer gucken. Und gucken. Und doch nichts wirklich sehen.
    Ich lebe eigentlich ganz woanders, meistens in den Zeitungen oder im Fernsehen oder in meinen abstrusen Gedanken. Hamburg ist nur die Hülle. Die dreckige Hülle der Glühbirne, um die ich wiederum kreise, angezogen und berauscht, immer im Kreis, immer um den Kreis im Kreis herum, denn welche «Möglichkeiten» bleiben einem denn sonst, wenn man Single ist? Es ist so bequem, sich einfach auszuruhen auf seinem Weltschmerz, der eigentlich Selbstschmerz ist, und mal abzuwarten, wie der Rest sich so bewegt.
    Endlich erreiche ich die Haustür. Irgendjemand hat wohl nicht mehr bis zu seiner Wohnung warten können und hat die Front der Eingangstür mit Kotze verklebt. Ich habe Mühe, meinen Schlüssel beim ersten Versuch in das Schloss zu bekommen, und meine Jacke streift das Erbrochene, es riecht nach Döner.
    Beim zweiten Versuch öffnet sich die Tür, ich stolpere ins Treppenhaus, ein Duft von Knoblauch und Magensäure zieht sich hinter mir her. Ich wohne im vierten Stock, ich hasse Treppensteigen, ich hasse meinen Fuß, der sich immer noch nicht erholen will und mir als bemitleidenswertes Anhängsel langsam zur Last fällt. Wenn etwas zur Last wird, dann sollte man sich davon trennen. Natürlich erst nach ein oder zwei ernsthaften Auseinandersetzungen. Also Gesprächen. Oder Streitigkeiten. Oder Briefen. Oder E-Mails. Oder Flaschenpost. Oder so.
    Während ich die Stufen hinaufhinke, denke ich daran, wie ich mir einmal nach einem Streit mit dem Menschen ein Beil herbeigewünscht habe. Ich hatte damals kein Beil, nur einen Messerblock. Aber dieser Messerblock war dann doch keine Möglichkeit, denn wenn man zu feige ist, sich auf normalem Wege von einem Menschen zu verabschieden, dann sollte man kein Messer oder Beil oder etwas Ähnliches zu Hilfe nehmen. Denn das wäre einfach krank. Und da gibt es nichts zu beschönigen. Und krank bin ich nicht, nie gewesen. Vielleicht verwirrt. Vielleicht verirrt, manchmal, aber nicht krank.
    Oben angekommen, entscheide ich mich deshalb, nicht in die Küche zu gehen und mit einem Messer in der Hand ein ernsthaftes Gespräch mit meinem Fuß zu führen, sondern zunächst die stinkende Jacke in die Badewanne zu werfen und das Wasser anzustellen. Es blubbert und grunzt, und ich denke an all die schönen Dinge, die Geräusche von sich geben.
     
    Stunden später hat sich der Morgen bereits aus seiner Schale befreit und atmet mit kalter Luft in mein Zimmer. Draußen ist es wie immer laut, die Stadt mit sich selbst beschäftigt, die Menschen mit der Stadt. Bald ist es Mittag, dann Abend, und alles bewegt sich in Kreisen, niemals endenden Kreisen aus Kommen und Gehen, Schlafen und Essen, Leben und Leben.
    Ich erwache, als es an meine Tür klopft. Irgendein Mitbewohner hämmert kräftig dagegen. Was soll die Scheiße? denke ich, derjenige kann doch bitte einfach die Tür aufmachen und was sagen oder wieder verschwinden. Ich sehe mich um und bemerke, dass ich mich immer noch im Badezimmer befinde. »Bin gleich fertig», rufe ich dem Menschen hinter der Tür zu, woraufhin dieser wieder geht.
    Es klopft immer noch, es klingelt, es hämmert. Jetzt aber gegen meine Schädeldecke. Ich versuche mich zu bewegen, doch nicht nur mein Fuß verweigert den Gehorsam, meine Gesamtheit an Zellen führt ein Eigenleben, das von meinen Synapsen entkoppelt ist.
    Ich bleibe auf dem Badewannenvorleger liegen, ich habe es in der Nacht nicht mehr in mein Bett geschafft. Was habe ich überhaupt
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