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Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Titel: Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Autoren: Bente Varlemann
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meine Füße, verfehl’ ich grad den Kurs.
    Mal bin ich müde, mal steh ich nicht auf,
    die Stadt dreht sich weiter im Kreisverkehrlauf.
    Hier wird nicht geschlafen, hier gibt’s kein ‹Good Night›,
    hier gibt’s nur Autoabgase und Sperrstundenzeit.
    Und dann eröffnet wer anders, keine Pause, und viel zu viel Licht.
    Ich schaue und gucke, doch gesehen hab ich nicht.
    Der Mond scheint aus Porzellan gemacht, als ich in die kühle Nachtluft trete und meinen Kopf gen Himmel recke. Es ist eine Freitagnacht, so eine Nacht eben, in der man sich besinnungslos betrinkt, oder sich volllaufen lässt, das wäre passender, wenn auch nicht hübscher. Doch um hübscher kann es eigentlich nicht gehen, denn dieses Besäufnis ist in keiner Weise hübsch, weder anzusehen noch als solches zu rechtfertigen. Ich wundere mich, wie ich zu diesen Gedankengängen überhaupt fähig bin, denn meine Beine ähneln einer Masse, die sich in ihren Atomen nicht recht zusammenhalten will. Mein Kopf, in dem sich irgendwo noch ein Gehirn mit funktionierenden Zellen befinden muss, ist schon vor Stunden auf Stand-by geschaltet worden und existiert einfach nur noch.
    Ich stehe dort, in der Nacht, im Delirium, habe keine Beine, allenfalls bewegliche Klumpen. Ich bin allein. Ich bin allein aus der Bar gestolpert, meine zwei Freunde sind dageblieben.
    Wenn man Freunde hat, dann ist das schön. Wenn man Freunde hat, die sich mit einem an einem kalten Freitagabend betrinken, dann ist das schöner. Wenn diese Freunde nach dir noch bleiben und du gehen musst, auch wenn du es anatomisch nicht mehr kannst, aber dennoch musst, dann ist das nicht so schön.
    Vom Mondgucken wird mir schlecht. Ich denke an meine Füße, ganz intensiv, und einer bewegt sich ein Stück in irgendeine Richtung. Welche, ist in diesem Moment egal, was zählt, ist, dass sich hier mal was bewegt, dass hier mal wer mitmacht, so wie bei Olympia, Mitmachen ist alles. Beziehungsweise ist Mitmachen ein Anfang.
    Denn mein anderer Fuß will weder durch Telepathie noch durch liebevoll gelalltes Insistieren funktionieren. Ich fange an zu singen, nichts rührt sich. Ich lasse meine Hüften kreisen, will den alten Kumpanen zum Gehen ermutigen, doch er bleibt einfach stehen. Nichts regt sich, der Mond, Villeroy & Boch nur Dreck dagegen, bewegt sich dem Horizont zu.
    Alles bewegt sich, nur ich stehe hier, von meinem Fuß gezwungen auszuharren, eine Gefangene meiner Selbst, meiner Anatomie, meiner Trunkenheit. Kaum ist man, aus welchen Gründen auch immer, genötigt, still zu sein, sich nicht weiter fortzubewegen, einen Moment zu verweilen, da wird einem klar, dass es überhaupt keinen Unterschied für den Rest der Menschheit macht, dass man
nicht
teilnimmt. Der Mond geht auf und unter, die Straße füllt und leert sich mit Automobilen, in denen Menschen sich bewegen lassen, Neonleuchtschriften blinken, Menschen lassen sich zum Kaufen bewegen, gehen dann nach Hause, oder das, was sie ein Zuhause nennen, und dann fängt der Mond wieder an.
    Ich will auch nach Hause, es dem Rest gleichtun, einfach mal ankommen, mich duschen. Entkleiden. Nein, das vielleicht eher vor dem Duschen. Dann schlafen. Mein Fuß zittert. Ich lächle. Mein Fuß robbt voran. Ich lache. Es sind eben die kleinen Dinge, denke ich. Die kleinen Dinge, die kleinen Dinge … Mein Fuß steckt in einem Schuh der Größe  36 , es ist ein kleines Ding, ein kleiner Schritt für mich, kein Schritt für die Menschheit, denn die interessiert sich weder für mein Fortkommen noch für meinen vorherigen Stillstand.
    Ich gehe die Straße entlang. Beeilen muss ich mich nicht, kann ich auch nicht, der eine Fuß zieht alle paar Schritte nach. Na, soll er doch!, denke ich. Der Weg ist das Ziel, Scheiße kann man nicht schönreden, ein Fuß ist eben auch nur ein Stück Fleisch mit Körper dran.
    Zu Hause wartet niemand auf mich, das weiß ich. Zu Hause hat schon lange keiner mehr auf mich gewartet, ich wünschte, jemand würde auf mich warten, doch seit fast zwei Jahren sind dort nur meine Mitbewohner. Sie warten nicht auf mich, sondern sind eher zufällig noch wach. Aber manchmal muss auch gar keiner auf einen warten, es ist dann einfach nur schön, dass jemand da ist.
    Wenn niemand da ist, dann schalte ich die WG -Kaffeemaschine ein, lasse Wasser durch ihren Bauch laufen, ohne Kaffee in den Filter gegeben zu haben, nur, um das Grunzen und Blubbern vernehmen zu können, das die Stille durchbricht. Ich lasse die Fenster offen, nur, um Geräusche von
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