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Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)

Titel: Unser Verhältnis verhält sich verhalten (German Edition)
Autoren: Bente Varlemann
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es besser, uns zukünftig als Pärchen auszugeben, und drittens waren Hunde so unerwünscht wie Kinder oder WG s.
    Wir gaben trotzdem nicht auf und studierten weiter Wohnungsanzeigen und Aushänge. Ein Tag im November 2005 . Es regnete, und wir hatten keine Ahnung, wo Eimsbüttel genau lag. «Sieht irgendwie ’n bisschen abgefuckt aus», hatte Sabrina gesagt, und ich sah mich um: Die Altbauten guckten nass und traurig auf die Straße, auf welcher sich der Müll zu kleinen Bergen türmte. Damals dachten wir, ganz schön arm hier, heute weiß ich, dass wohl am nächsten Tag die Müllabfuhr kam und die Menschen deswegen ihren Abfall auf den Gehweg gestellt hatten.
    Die zu besichtigende Wohnung lag im ersten Stock eines Rotklinker-Hauses. Wir stellten uns vor, dass hier nach dem Krieg mal ein großes Loch im Boden gewesen sein musste, irgendwie passte das zur Stimmung, denn wir fühlten uns, als sei diese Wohnungssuche ebenfalls ein schwarzes Loch, das uns einsog, auf dass wir niemals fündig würden. Wir dachten, Hamburg bestünde aus Regen, Müll, Müdigkeit und Missmut.
    Wir bekamen die Wohnung, besorgten uns die Schlüssel unerlaubterweise vor der offiziellen Übergabe vom Hausmeister, tranken und rauchten in jedem Zimmer und fühlten uns frei und angekommen. Wir strichen Wände, wir bohrten Löcher, die nicht schwarz waren, wir hängten eine Tür aus und trugen sie auf den Dachboden.
    Diese Tür gehörte zu Sabrinas fünf Quadratmeter großem Bettzimmer, denn mehr als eine Schlafstatt passte eh nicht rein, und die Tür passte auch nicht rein. Dass mein Zimmer genau gegenüber auf der anderen Seite des Flures lag, war egal, denn die Stadt gehörte uns. Wer braucht schon Türen, wenn uns alles offensteht?
    Unter der Woche gingen wir zur Uni und mit dem Hund in den Park, wir bewahrten uns gegenseitig vor allzu großen Dummheiten, das Speed lag im Kühlschrank und das Bier auf dem Balkon. An Sonntagen lagen wir in Sabrinas Bettzimmer und schauten DVD .
    Regelmäßig fuhren wir zu zweit mit meinem Fahrrad zum
Waagenbau
, tanzten die ganze Nacht zu Drum ’n’ Bass und Alkohol von der Tanke.
    Eines Abends, Sabrina und ich waren wieder einmal tanzen gegangen, hatte ich mir für den Nachhauseweg Bier mitgenommen, Sabrina einen Mann.
    Am nächsten Mittag wachte ich mit einem Schädel in der Dimension eines Stadtrundfahrtenbusses auf, und meine Blase presste wie eine Wassermelone alle anderen inneren Organe an die Wände meines Körpers. Ich hatte schon die Türklinke in der Hand, da bemerkte ich etwas. Sabrina und die Tür und den Mann. Sabrina und den Mann – und keine Tür. Sabrina und den Mann, keine Tür und vermutlich Sex ohne Ende. Ich versuchte, durch das Schlüsselloch auf der anderen Seite des Flures etwas zu erkennen. Ich sah immer noch doppelt, es half nichts. Anstatt einfach meine Tür zu öffnen und auf die Gefahr von Sex zu pissen, im wahrsten Sinne des Wortes, war ich Gefangene meiner Gedanken. Privatsphäre ist eine Sache, auf die ich gerne Rücksicht nehme. Doch in diesem Moment empfand ich alles, was intim und privat war, als Unverschämtheit.
    Ich legte mich schlafen, rollte mich auf die Seite und dachte mich in ferne Welten aus Schlaf, in Wüsten und Höhlen und in die Sauna, dorthin, wo Wasser nicht hingelangen konnte. Wenigstens für ein paar Stunden wollte ich meine Körperinstinkte besiegen.
    Im Nachhinein fällt es immer noch schwer, zu begreifen, wie ich meine elementarsten Bedürfnisse ernsthaft gegen vermeintlichen Sex meiner Mitbewohnerin abwägen und sogar darunterstellen konnte.
    Damals aber harrte ich aus, bis ich wusste: Wenn ich jetzt nicht aufs Klo gehe, dann muss entweder der Blumentopf herhalten, oder irgendwas da unten geht irreparabel kaputt.
    Ich betrat den Flur, Sabrina und der Mann verabschiedeten sich gerade, Sabrina lächelte mich an und sagte: «Na, du hast aber lange geschlafen!» Eine innere Explosion gefährdend, brüllte ich: «Geschlafen???? Geschlafen??? Ich hab nicht geschlafen! Ich hab eingehalten! Ich hab gerade sieben Stunden eingehalten, weil du keine Tür hast und ich Angst! Schlafen wäre schön gewesen, jaja, Betonung liegt auf GEWESEN . Ich geh jetzt pissen, und wenn ich da
(ich zeigte auf die Klotür)
wieder raus bin, dann ist der da
(ich zeigte auf den Mann)
weg!»
    Nach drei Minuten Dauerpinkeln und fünf Minuten gedanklichen Runterkommens öffnete ich die Tür. Der Mann war weg, und Sabrina nagelte gerade ein blau-weißes Snoopy-Bettlaken vor ihre
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