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Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Titel: Unser sechzehntes Jahr (German Edition)
Autoren: Nancy Salchow
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Nicht so unschuldig. Und doch bedingungsloser.
    "Ich hätte nicht gedacht, dich noch wach anzutreffen", sagt er. Er kommt selten ins Bett, wenn ich wach bin. Die Arbeit beschäftigt ihn oft bis in die Nachtstunden. Ich halte mich selten länger als bis Zehn wach.
    "Ich konnte nicht schlafen", antworte ich.
    Er lächelt. "Ich hoffe, du kannst es jetzt."
    Er ist sich der Ironie seiner Worte nicht bewusst. Weder der Streit zwischen Nathalie und mir noch das seitdem mittlerweile zwei Tage andauernde Schweigen zwischen uns, das nur durch unvermeidbare Floskeln unterbrochen wird, sind bis zu ihm durchgedrungen.
    "Ich muss mit dir reden, Armin."
    Er stützt sich auf seinen Ellenbogen. Mein Unterton scheint ihn zu beunruhigen. "Ist was passiert?"
    "Nathalie und ich. Wir hatten einen schlimmen Streit."
    "Worum ging es?"
    "Um Fiona." Noch bevor ich ihren Namen ausspreche, frage ich mich, wann wir das letzte Mal über sie gesprochen haben. Gespräche über sie haben wir Tausende geführt. Jeden Tag. Beinahe jede Stunde. Nur ohne Worte. Worte haben eine Macht, der wir gelernt haben auszuweichen.
    "Fiona?", fragt er.
    "Es ging bereits auf Rügen los", antworte ich. "Der Abend, an dem Nathalie und ich am Strand waren."
    Er nickt.
    "Sie wollte wissen, ob Fionas Tod der Grund für ihre Geburt war."
    Die Frage scheint ihn wenig zu überraschen. Vielmehr interessiert ihn meine Antwort. "Was hast du ihr gesagt?"
    "Die Wahrheit."
    "Die Wahrheit?"
    "Ja, Armin. Die Wahrheit."
    Er schaut mich an, ohne mich zu sehen. Ich kenne seine Gedanken. Dieselbe Angst. Dieselben Bilder. Wir müssen nicht darüber reden, um es zu wissen.
    "Ist sie deshalb zurzeit so kurz angebunden?", fragt er.
    "Ja. Sie glaubt, dass sie eine Art Mittel zum Zweck war. Eine billige Therapie, um über den Schmerz hinwegzukommen." Ich presse meine Faust auf die Lippen.
    Er legt seinen Arm um mich. "Sie wird sich wieder beruhigen, Dascha. Du wirst sehen."
    "Ich habe sie geschlagen, Armin. Direkt ins Gesicht."
    "Warum?"
    "Sie hat gefragt, ob wir uns vor Fionas Problemen genauso gedrückt haben wie vor ihren. Da sind mir die Sicherungen durchgebrannt." Ich spüre Tränen aufsteigen.
    Sein Arm drückt sich fester um meine Schulter. Schweigend verharren wir in dieser Position. Keine Fragen. Keine Worte. Ich bin dankbar für seine Nähe und doch schäme ich mich.
    Ich habe meine eigene Tochter geschlagen.

Kapitel 3 : Zu laut
     
     
    "Alle Schülerinnen und Schüler bitte zu mir an den Beamer kommen. Wir beginnen in wenigen Minuten mit der Präsentation."
    Die Stimme des Lehrers dröhnt blechern durch das Foyer des Gymnasiums. Ein Dutzend Mädchen und Jungen folgen seiner Aufforderung. Unter ihnen Nathalie.
    Wie alle anwesenden Eltern haben auch Armin und ich auf den hölzernen Stühlen vor der Leinwand Platz genommen. Die Präsentation der neuen Schulwebsite, die fast ausschließlich den Schülern des Reimann-Gymnasiums zu verdanken ist. Seit Wochen warten wir darauf. Nathalie, die für den Großteil der auf der Website eingesetzten Grafiken zuständig ist, scheint ebenso stolz auf ihren Anteil am Schulprojekt zu sein wie die anderen Schüler, die rechts und links von der Leinwand eine Reihe bilden.
    "Liebe Eltern, liebe Gäste. Wir freuen uns, Ihnen heute das Ergebnis eines ganz besonderen Projektes vorzustellen", führt der namenlose Lehrer seine Ansprache fort. Nathalie hat oft von ihm erzählt, wenn sie auf dem Weg zu einem der Treffen des Website-Kurses war, doch bis heute habe ich mir seinen Namen nicht merken können.
    Ich schaue zu Armin herüber, der erwartungsvoll nach vorne starrt. Eine Stunde, die wir uns für den frühen Nachmittag von unseren Jobs loseisen konnten. Ich mustere ihn. Zum ersten Mal seit langem. Er hat, dem Anlass entsprechend, ein blaues Sakko über sein Arbeitshemd geworfen, das weit genug ist, um den leichten Bauchansatz zu kaschieren. Sein noch immer volles Haar hat er flüchtig mit dem Kamm durchzogen, das Grau an seinen Schläfen lässt nur noch wenig Platz für das ursprüngliche Dunkelblond.
    "Sie ist nervös", flüstere ich ihm zu.
    "Ich weiß. Wer sollte es ihr verdenken? Es ist zu großen Teilen ihr Projekt."
    Die Ansprache des Lehrers zieht sich bleiern in die Länge. Jeder im Saal scheint auf die eigentliche Präsentation zu warten.
    Nathalie steht zwischen zwei Jungen rechts neben der Leinwand. Sie spielt mit einer Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat, während sie sich um Lässigkeit bemüht. Wie hübsch sie ist. Das
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