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Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Unser sechzehntes Jahr (German Edition)

Titel: Unser sechzehntes Jahr (German Edition)
Autoren: Nancy Salchow
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vielen Jahren die Treue. Sie fragt nicht, wo es nichts zu fragen gibt. Sie redet nicht, wo es nichts zu reden gibt. Diesen Charakterzug an ihr habe ich besonders in schweren Zeiten zu schätzen gelernt.
    Auch an meinem ersten Tag nach dem Rügen-Urlaub redet Sina nicht viel. Sie steht hinter mir im offenen Lager und bindet ein paar Mustersträuße, während ich am Tresen den Eindruck erwecke, auf Kundschaft zu warten.
    Aber die Wahrheit ist, dass ich auf niemanden warte. Kunden bedeuten Umsatz, gleichzeitig aber auch Reden. Fragen nach dem Anlass für die Blumen. Nach dem Empfänger. Alter. Farben. Aber ich möchte nicht reden. Erst recht nicht fragen. Nur schweigen, während ich die Bestellliste durchgehe.
    "Hoffe, euer Urlaub war schön", höre ich Sina hinter mir sagen, noch immer mit den Sträußen beschäftigt.
    Ihr Kommentar ist unaufdringlich. Zu wissen, dass sie keine Antwort erwartet, macht es mir leichter, ihr eine zu geben.
    "Im Grunde schon", sage ich.
    "Ich hoffe, dass im Grunde überwiegt."
    "Nathalie hat sich sehr über ihre Geschenke gefreut."
    "Wie alt ist sie denn geworden? Vierzehn? Fünfzehn?"
    "Fünfzehn", murmele ich. Fünfzehn. Die Gedanken steigen in mir auf. In den letzten zwei Tagen auf Rügen und den ersten drei in der Heimat haben Nathalie und ich nur das Nötigste an Worten gewechselt. Irgendwelche Wünsche fürs Abendessen? Kannst du mal Mathe unterschreiben? Oh, eine Zwei. Schön, mein Schatz. Doch es scheint etwas Seltsames zwischen uns zu stehen. Sie ist nicht böse. Vermutlich versteht sie meine Antwort vom Strand sogar. Ja. Vielleicht. Trotzdem macht es ihr zu schaffen, das spüre ich. Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns in der Ruhe nach oder vor dem Sturm befinden. Kein Wort zum Thema und selbst ihre Blicke deuten nichts an.
    Armin hat sich auch nach unserer Rückkehr voll dem Workaholic-Dasein verschrieben. Die Artikel und Texte für das Software-Unternehmen, bei dem er arbeitet, schreibt er mit einer Besessenheit, die mir schon lange keine Angst mehr macht. Es ist seine Form des Verdrängens, die er vor sechzehn Jahren für sich entdeckt und seitdem nie wieder abgelegt hat, auch wenn sich die Art seiner Arbeit im Laufe der Jahre verändert hat. Das Internet kam, die Möglichkeiten wuchsen und mit ihnen Armins Ehrgeiz, überall dort mitzumischen, wo man ihn ließ.
    Sein Ehrgeiz lässt ihn zwischenmenschliche Spannungen gekonnt übersehen. Auch die zwischen Nathalie und mir. Ich könnte ihn darauf ansprechen. Mit ihm reden. Doch ich weiß, dass es die Sache nicht ändern würde. Was nützt es mir, geschweige denn ihm, wenn wir die Situation zu zweit analysieren? Verdrängen ist leichter ohne Worte.
    Und wieder liegt es an mir, eine Mutter zu sein, die ich nicht bin. Eine Mutter, die ihrer Tochter dabei hilft, die Welt zu verstehen. Ist es nicht das, was eine gute Mutter ausmacht? Eigene Gefühle, den eigenen Schmerz hinten anzustellen?
    Und wie weit bin ich davon entfernt, eine solche Mutter zu sein?
    Meine eigene Schwäche macht mich beinahe wütend. Reiß dich zusammen, Dascha. Mein altbekanntes und so vertrautes Motto, das ich mir nicht selten wie ein Mantra vormurmele. Reiß dich zusammen!
    "Fünfzehn", brummt Sina aus dem Lager. "Das nenne ich mal ein hübsches Alter. Hat sie eigentlich schon einen Freund, die Kleine?"
    Ich wundere mich über Sinas Redseligkeit, die nicht so recht zu ihr passen will. Ob sie merkt, dass ich noch kürzer angebunden bin als sonst?
    "Na ja, du kennst das. Hier und da ein süßer Typ in der Schule. Das kriege ich aber nur zur Hälfte mit und auch nur mit ganz viel Nachbohren."
    Sina lacht. "Ja ja, die Jugend von heute."
    Die Jugend von heute. Ich frage mich, inwiefern sie anders ist als die Jugend von damals. Anders als die Jugend vor sechzehn Jahren.
    Mein Blick fällt auf die Margeriten in der Nähe der Tür. Ich werde Nathalie ein paar davon mit nach Hause nehmen. Sie liebt Margeriten.
     
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    "Danke, Mama. Sie sind toll."
    Nathalies Stimme klingt mechanisch, als ich die Vase mit den Margeriten auf ihren Schreibtisch stelle. Sie sitzt mit angewinkelten Beinen auf ihrem Bett.
    "Ich dachte, die Blumen holen dir ein kleines bisschen Frühling ins Haus."
    "Wohl eher den Sommer."
    "Vielleicht auch das", sage ich lächelnd.
    Ihr Blick, der mir schon beim Betreten des Zim mers nicht wirklich gehört hat , wandert zurück in Richtung Fenster.
    "Wir wollen Pizza bestellen. Papa ist auch schon unterwegs. Hast du Lust auf
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