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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Autoren: Christian Keysers
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sind vollkommen verschieden, und doch verknüpft unser Gehirn sie äußerst nachhaltig, weshalb uns erst nach einigem Nachdenken klar wird, dass sie vordergründig nichts gemein haben und dass ein französischer Sprecher beispielsweise nicht erkennen würde, dass sie zusammengehören. Irgendwie übersetzt unser Gehirn den Laut des Wortes in ein Vorstellungsbild vom Aussehen des Tiers und umgekehrt.
    Das Gleiche gilt für unsere Handlungen. Während wir eine Handlung ausführen, veranlasst unser Gehirn unsere Muskeln, sich zu bewegen. Wenn wir dagegen die Handlungen von jemand anderem sehen, liegt es daran, dass Licht in unsere Augen fällt. Auch das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Und doch assoziiert unser Gehirn sie sehr stark, weshalb wir ziemliche Schwierigkeiten haben, uns darüber klar zu werden, dass es keine Gemeinsamkeit gibt zwischen den Muskeln, die unseren Körper bewegen, und dem Licht, das auf unsere Netzhaut trifft. Wenn Spiegelneuronen in beiden Fällen reagieren – während der Affe bestimmte Handlungen vornimmt und während er beobachtet, wie andere die gleichen Handlungen ausführen –, muss das neuronale Verschaltungsmuster zwischen der Sehrinde und den Spiegelneuronen die visuelle Sprache des Anblicks anderer in die motorische Sprache des eigenen Handelns übersetzt haben.
    Wie das Gehirn Ziele verschlüsselt
    Spiegelneuronen unterscheiden sich hinsichtlich der Genauigkeit, mit der sie beobachtete Handlungen in ausgeführte Handlungen übersetzen. Allgemein kongruente ( broadly congruent) Spiegelneuronen übersetzen die Handlungen anderer Individuen auf ziemlich allgemeine Weise. Oft haben sie eine recht breite, allgemeine Selektivität, indem sie beispielsweise reagieren, wenn der Affe eine Erdnuss nimmt, egal, ob es mit der Hand oder mit dem Mund geschieht. Entsprechend reagieren sie auf den Anblick von Greifbewegungen in einer Vielzahl von Fällen und übersetzen sie sehr allgemein, etwa als »nehmen« oder »greifen«. Eine solche Umwandlung ist bemerkenswert, weil das Greifen mit Hand oder Mund sehr unterschiedlich aussieht, trotzdem werden diese verschiedenen visuellen Beschreibungen in ein einziges Wort der motorischen Sprache der prämotorischen Neuronen übersetzt: »nehmen«. Einige der allgemein kongruenten Spiegelneuronen sind sehr spezifisch, wenn der Affe selbst handelt – dann reagieren sie beispielsweise nur, wenn er einen Gegenstand mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand ergreift. Andererseits reagieren sie immer dann, wenn der Affe jemand anderen greifen sieht, unabhängig davon, ob es mit Hand oder Mund geschieht.
    Während bei diesen Spiegelneuronen die Entsprechung zwischen beobachteter und ausgeführter Handlung ziemlich allgemein ist (daher die Bezeichnung) – auf einer begrifflichen Ebene von »Nehmen« oder »Greifen im Allgemeinen« –, sind andere Spiegelneuronen weit genauer. Einige feuern nur, während der Affe mit der rechten Hand greift, und reagieren auch nur, wenn jemand anders mit der rechten Hand greift. Andere sind nur dann aktiv, wenn ein Individuum mit dem Mund greift. Wieder andere, noch selektivere, feuern, wenn der Affe einen Präzisionsgriff ausführt, aber nicht, wenn er das Objekt mit der ganzen Hand nimmt – und das auch nur, wenn der Präzisionsgriff beobachtet wird. Diese selektiveren Neuronen heißen streng kongruente (strict congruent) Spiegelneuronen.
    Ein so vielschichtiges System mag redundant und überflüssig erscheinen. Wozu sind Neuronen von so unscharfer Spezifität wie »Nehmen« erforderlich, wenn die Einzelheiten von streng kongruenten Spiegelneuronen korrekt übersetzt werden? Die Antwort könnte einfach sein. Stellen Sie sich vor, Sie besuchen einen Tangokurs und sollen den Gancho (Beinhaken) lernen, den Ihr Lehrer vorführt. Da Sie noch nie zuvor einen Gancho getanzt haben, fehlt Ihnen ein exaktes motorisches Programm für Ganchos und daher auch streng kongruente Spiegelneuronen für diese Fertigkeit. Allerdings heben Sie Ihr Bein beim Gehen, daher werden allgemein kongruente Spiegelneuronen bei jeder Beobachtung eines Ganchos aktiviert; so bekommen Sie zumindest ein annäherndes Empfinden dafür, dass Sie den Fuß nach hinten heben müssen. Die annähernd kongruenten Spiegelneuronen könnten daher besonders wichtig für neue Verhaltensweisen sein, deren Einzelheiten Sie noch nie ausgeführt haben. Durch Übung können Sie dann, ausgehend vom Heben eines Beins, Ihren Gancho allmählich verbessern. Wenn Sie als
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