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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Autoren: Christian Keysers
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nahm. Zunächst maß man diesen zusätzlichen Aktivierungen keine Bedeutung bei, weil sie nicht in die herrschende Auffassung von der Funktion dieses Hirnareals passten – so wie wir die Weinflaschen im Bierregal übersehen würden. Hinzu kommt, dass 90 Prozent der Zellen in dieser Region tatsächlich nicht reagieren, wenn das Individuum andere handeln sieht. Erst als diese Aktivität immer wieder auftrat, begann das Team die Beobachtung ernst zu nehmen. In gewisser Hinsicht war es reines Glück, dass die Forschungsgruppe diese Entdeckung machte, doch erst ein tieferes Verständnis ermöglichte ihr, deren Bedeutung zu erkennen
    Das Gehirnvokabular des Handelns
    Fast alle Neuronen im prämotorischen Kortex sind an der Ausführung einer bestimmten Handlung beteiligt, allerdings schwankt die Selektivität der Neuronen. Die »Selektivität« eines Neurons gibt an, wie heftig es auf jeden möglichen Reiz reagiert. Ein Vergleich: Ich könnte Ihre Selektivität für Musik messen, indem ich Ihnen verschiedene Stücke aus den Bereichen Pop, Rock, Jazz und Klassik vorspielte. Würden Sie positiv auf Klassik reagieren, aber nicht auf alle anderen Musikarten, käme ich zu dem Ergebnis, dass Sie sehr selektiv sind, und zwar selektiv für klassische Musik. Jemand anders würde vielleicht nur auf Jazz positiv reagieren, auf alle anderen Musikarten, einschließlich der Klassik, hingegen nicht. Auch dieser Mensch wäre selektiv, allerdings für Jazz. Wieder eine andere Versuchsperson würde eine gemäßigte Reaktion auf jede ihm vorgespielte Art von Musik zeigen – diese Person wäre weniger selektiv.
    Gleiches gilt für Nervenzellen. Einige reagieren nur dann stärker, wenn der Affe ein Objekt zwischen Zeigefinger und Daumen nimmt, und sonst bei keiner anderen Handlung, andere feuern nur – und nur dann –, wenn der Affe einen Gegenstand aufnimmt, indem er alle Finger um diesen schließt, und schließlich gibt es Neuronen, die bei beiden Greifbewegungen aktiviert werden – obendrein sogar, wenn das Tier den Gegenstand mit den Lippen ergreift.
    Durch ihre unterschiedliche Selektivität bilden Neuronen ein »Vokabular« von Handlungen, die sich zu größeren Handlungseinheiten zusammenfügen lassen. Die Handlungssequenz »Erdnussessen« lässt sich beispielsweise durch die Kombination verschiedener Neuronen bilden: Zunächst feuern bestimmte Neuronen selektiv beim Aufbrechen der Schale, andere, wenn die Erdnuss aus der Schale geholt wird, dann welche, während die Nuss zum Mund geführt wird, und so fort. So erzeugt die Aktivitätssequenz in diesen Zellen mit unterschiedlichen Selektivitäten eine komplexe Handlung. Die Neuronen ähneln Wörtern, und die Sequenz neuronaler Aktivierung ähneln Sätzen. Aus einer bestimmten Menge prämotorischer Neuronen lassen sich verschiedene Handlungssequenzen zusammensetzen. Beispielsweise können viele der am Erdnussessen beteiligten Neuronen auch zum Rosinenessen verwendet werden, wobei allerdings die für das Aufbrechen der Schale zuständigen Neuronen übergangen würden. In gewisser Weise manifestiert sich in der Aktivität der prämotorischen Neuronen die Handlungssprache. In diesem Vergleich entsprechen mehr oder weniger selektive Neuronen Wörtern mit unterschiedlicher Spezifität. Die selektivsten Zellen stehen für sehr spezifische Verben, etwa »mit-den-Fingerspitzen-greifen«, weniger selektive ähneln eher dem Verb »nehmen«, das nicht festlegt, wie es geschehen soll.
    Einführung des Sehens in die Welt der Bewegung
    Nur ungefähr 10 Prozent der prämotorischen Neuronen sind Spiegelneuronen, die reagieren, wenn der Affe still sitzt und das Verhalten anderer beobachtet. Es gibt keine Möglichkeit zu entscheiden, ob ein Neuron ein Spiegelneuron oder ein gewöhnliches prämotorisches Neuron ist, während der Affe selbst eine Handlung ausführt. Gegenwärtig gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass diese Spiegelneuronen eine andere Gestalt haben als andere Neuronen. Wahrscheinlich unterscheiden sie sich von anderen Neuronen nur durch ihre Verschaltung.
    Irgendwie empfangen Spiegelneuronen exzitatorische Inputs aus visuellen Regionen des Gehirns, die auf den Anblick han delnder Individuen reagieren. Durch diese Verschaltungen »über setzen« sie die visuelle Sprache in die motorische Sprache der eigenen Handlungen des Affen.
    Recht bedacht, ist diese Übersetzung ein ziemliches Wunder. Stellen wir uns das Foto eines Schafs und den Klang des Wortes »Schaf« vor. Diese beiden Dinge
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