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Unschuldslamm

Unschuldslamm

Titel: Unschuldslamm
Autoren: Judith Arendt
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hundert Kilometer weit weg wohnen? Sie wäre gerne ans Ende der Welt mit ihm gefahren.
    »Und?«, brach Eisenrauch die verlegene Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. »Was sagst du zum Prozess? War dein erster, oder?«
    Jetzt war es an Ruth zu nicken. Als der Wagen rechts und dann wieder links abgebogen war, hatte sie seine Frage schon beantwortet. Wie froh sie war, dass Aras nicht der Täter war, aber wie traurig gleichzeitig der ganze Fall. Als Eisenrauch sich durch die Oldenburger schlängelte und schließlich vor ihrem Haus in der zweiten Reihe stoppte, dachte Ruth, wie gerne sie sich noch mit ihm unterhalten hätte. Über Derya und Valentin. Über ihre eigenen Kinder und wie sehr sie mit den Eltern mitgelitten hätte. Aber auch über alles andere, was sie beschäftigte.
    »Da wären wir«, unterbrach Hannes Eisenrauch ihre Gedanken und machte den Motor aus.
    Ruth stutzte. »Woher weißt du, wo ich wohne?« Jetzt fiel ihr erst auf, dass sie ihm ihre Adresse gar nicht genannt hatte.
    »Ich bin Staatsanwalt«, entgegnete er und lächelte. Mit dem Lächeln ging die Sonne auf, aber Ruth wollte lieber noch ein bisschen empört sein, zu sehr befürchtete sie, sich zu verraten.
    »Heißt das, du hast ermittelt?«
    Der Staatsanwalt lachte. »Das heißt, ich habe das Telefonbuch bemüht. Es gibt nicht viele Ruth Holländers in Berlin.«
    Ruth wurde rot, aber bevor sie sich des Bretts vor ihrem Kopf zu sehr schämen konnte, fuhr der Mann neben ihr bereits fort.
    »Meine Frau hat mich rausgeschmissen.«
    Ruth hob überrascht den Kopf und sah ihn an.
    »Sie hat einen anderen. Ganz plötzlich. Wir haben drei Kinder. Sechs, zehn und vierzehn Jahre alt. Ich hab erst im Büro geschlafen. Jetzt habe ich mir ein Zimmer gemietet.«
    Ruth hätte ihm liebend gerne einen Finger auf die Lippen gelegt, aber Hannes Eisenrauch wollte sich nicht stoppen lassen. Er war jetzt ernst, und es schien ihm wichtig zu sein, ihr seine private Situation zu erklären.
    Eisenrauch blickte ihr direkt in die Augen. »Ich bin noch nicht so weit … Also für was anderes.«
    Ruth wollte im Boden versinken. So offensichtlich waren ihre Gefühle für ihn gewesen, dass er sich genötigt fühlte, ihr seine desaströse Ehesituation zu erklären – es war unendlich peinlich.
    »Aber …«, Eisenrauchs Blick wanderte nun im Auto hin und her, er drehte nervös an seinem Ehering, »… jetzt, wo der Prozess vorbei ist … können wir uns ja mal wieder treffen. Vielleicht?«
    Anstatt zu antworten, begann Ruth zu kichern. Es war nicht so, dass sie kichern wollte, sie konnte nicht anders. Die Anspannung des Prozesstages löste sich, und sie war so erleichtert und glücklich, dass sie sich nicht wirklich unter Kontrolle hatte.
    Eisenrauch sah sie verwirrt an. »Äh, war das jetzt blöd?«
    »Nein!« Ruth fasste mit ihrer linken Hand an das Revers seines Sakkos und zog ihn leicht zu sich. »Das war alles andere als blöd.« Damit gab sie ihm einen Kuss auf die Wange, die so wunderbar nach seinem Aftershave roch, dass sie am liebsten hineingebissen hätte. Aber sie beherrschte sich, öffnete die Beifahrertür, und nachdem sie ein Bein auf den Bürgersteig gestellt hatte, wandte sie sich zu ihm, grinste breit und sagte: »Wir treffen uns. Unbedingt. Und am liebsten ganz bald.«
    Sie wuchtete sich so wenig plump wie möglich aus dem tiefen Sitz, warf die Autotür hinter sich zu und schwebte glücklich in Richtung Hauseingang.
    H ASANKEYF, S ÜDOSTANATOLIEN,
EIN S AMSTAG E NDE F EBRUAR, DREIZEHN U HR
    Ein großer Wagen fährt auf der Bergstraße in Richtung Hasankeyf. Oberhalb der historischen Anlagen, in einer Spitzkehre mit Parkbucht, bleibt der Wagen stehen. Zwei Männer steigen aus. Sie sind nicht mehr jung, ihre Gesichter sind ernst, und einer von ihnen trägt einen imposanten Schnurrbart. Sie stellen sich nebeneinander und blicken hinunter, dorthin, wo der Illisu-Staudamm die historischen Stätten überflutet hätte.
    Sie schweigen lange. Beide hängen ihren Gedanken nach. Bis sich der eine Mann, der mit dem Schnurrbart, nach der Tochter des anderen erkundigt. Es geht schon, antwortet dieser. Seine Tochter wird sich erholen. Man hat sie rechtzeitig gefunden, Allah sei Dank. Dann schweigen sie wieder und blicken hinunter. Erneut ergreift der Mann mit dem Bart das Wort. Dann wird der Staudamm also gar nicht gebaut?, erkundigt er sich. Der andere Mann schüttelt den Kopf. Nein, sagt er. Der Preis dafür war zu hoch.

Mein Dank
    geht in erster Linie an
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