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Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Titel: Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
Autoren: Laura Milde
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hat mir gefehlt, die letzten Tage und Abende. Ich setze mich mit Blick auf die herrlichen Fenster nieder und raste. Ich versäume nichts, da es draußen inzwischen wie aus Kübeln gießt. Ich mache eine Meditation, lasse mich von dem magischen Ort verzaubern und werde ganz still. Hier gelingt es mir mühelos in einen meditativen Zustand zu gelangen. Die Schwere meines Körpers, hervorgerufen durch die tägliche Anstrengung des langen Gehens, hilft mit, dass ich mich dem Zwischenraum zwischen Bewusstsein und nichtdenken überlasse. Erfrischt komme ich zu mir. Wie lange ich wohl so dagesessen bin? Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und es war gut so. Ich raffe mich auf. Es hilft nichts, ich muss hinaus in den vom Wind gepeitschten Regen.
    Ich gehe alleine weiter. Lilly-Marleen und Bertl sind nicht mehr da. Sie wollten mich wohl nicht stören und sind schon vorausgegangen. Ich komme halb tot in Puente de la Reina an und erlebe sozusagen einen Kulturschock. Aus allen Ecken strömen Pilger herbei. Hier würde ich auch meine Mitpilger nicht finden, was mich traurig stimmt, weil ich mir gar nicht vorstellen mag, Lilly-Marleen nicht wiederzusehen.
    Die erste Herberge, die ich ansteuere, ist bereits überbelegt. Mit 78 Betten! Ich fasse es nicht. Ich erfahre hier, was „überbelegt“ heißt: Es bedeutet, dass Pilger jeden möglichen Platz belegen, auch unter Treppenabsätzen und auf und unter dem großen Esstisch, ausgestreckt auf den mitgebrachten Isomatten. Wo ist „mein“ ruhiger, lieber Jakobsweg geblieben? Ich eile weiter, lasse mich von der Hektik und der Sorge um einen Schlafplatz anstecken und überquere achtlos die uralte Steinbrücke über den Rio Lobo, die der Stadt den Namen gab, und steige bergan bis zu einem Platz am Rande der Altstadt. Hier befindet sich eine große Herberge mit einem riesigen Schlafsaal mit 100 Betten! Es scheint vorbei zu sein mit den schnuckeligen, einsam gelegenen Herbergen, die eher einer Alm- oder Berghütte gleichen. Dieser Schlafsaal erinnert mich an das Kloster in Bad Reichenhall, wo ich zur Schule ging und an das ein Internat angeschlossen war. Ich war ja Gott sei Dank nur „Halbinterne“, habe aber trotzdem manchmal dort übernachtet in einem dieser großen, öden Schlafsäle.
    Aber dafür gibt es hier einen echten Service. Es werden verschiedene Massagen angeboten. Fantastisch! Ich gönne mir eine halbe Stunde Shiatzu. Ich liebe Massagen. Immerhin gehörte das jahrelang zu meinem Angebot in meiner Kosmetikpraxis. Ich kann mich während einer Massage herrlich entspannen, natürlich besonders, wenn ich sie bekomme. Aber was diese Behandlung mir hier auf dem Weg bedeutet, kann ich kaum beschreiben. Tiefe Ruhe überkommt mich und eine innig gefühlte Dankbarkeit für die liebevolle Zuwendung.
    Danach gibt es die Möglichkeit sich gleich in der Herberge zu verköstigen. Es gibt einen Kiosk, wo man sich etwas zu essen und zu trinken kaufen kann. Ich gehe keinen Schritt mehr. Es war ein mega anstrengender Tag. Ich glaube, wenn es so viel regnet, strengt mich das gehen noch mehr an. Außerdem denke ich an die Aussage bzgl. des Jakobsweges, dass das erste Drittel "der Weg des Schmerzes" genannt wird. Ja, ich leide wirklich Schmerzen. Die Füße tun fast immer weh, so nach ein, zwei Stunden Marsch. Besonders schlimm jedoch ist es für mich, den Rucksack zu tragen. Ich habe schon mein Taschenbuch in einer Herberge zurück gelassen, allerdings mit schwerem Herzen. Denn ich lese für mein Leben gerne. Ich denke an die Folter in dem Film „Schachnovelle“ mit Curd Jürgens, als er eingesperrt in einem Zimmer nicht ein Fitzelchen geschriebenen Wortes behalten durfte. Fürchterlich!
    In meinem Rucksack befindet sich nur das aller, aller Notwendigste. Ich habe das, was ich auf dem Leib trage und im Rucksack noch einmal die ganze Garnitur zum Wechseln plus Regenkleidung. Als Schlafanzug dient die Skiunterwäsche. Dazu Badeschlappen. Die brauche ich unbedingt für die Duschräume. Und die Wandersandalen. Die erlösen meine Füße bei schönem Wetter von der Enge der Bergstiefel. Der Schlafsack und die Isomatte sind unverzichtbar, genauso wie mein Wassersystem, das zwei Liter Wasser fasst und mein Waschzeug, das sich auf Seife, Shampoo, Zahnpasta, Zahnbürste, Haarbürste und eine Universalcreme für alles beschränkt. Ich wüsste nicht, was ich noch hätte weglassen können.
    Um 22 Uhr ist „Silentium und Licht-aus-Kommando“. Na, das ist was für mich. Ein strenges Reglement, dem ich
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