Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens.
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
ganz erschrocken aufstarrt, als er mich sieht.
    »Rasch hinunter bitte, Herr Leutnant, zum Befehl. Ausdrücklich hat der Herr Oberstleutnant befohlen, alle Offiziere und Mannschaften der Garnison müssen Punkt elf gestellt sein. Bitte nur schnell hinunter.«
    Ich rase die Treppe hinab. Tatsächlich, im Hof sind sie alle schon versammelt, die ganze Garnison; mir bleibt gerade noch Zeit, neben den Feldkuraten zu treten, und schon erscheint der Divisionär. Er schreitet sonderbar langsam und feierlich, entfaltet ein Blatt und beginnt mit weithin tönender Stimme:
    »Ein fürchterliches Verbrechen hat sich ereignet, das Österreich-Ungarn und die ganze zivilisierte Welt mit Abscheu erfüllt« – (Welches Verbrechen, denke ich erschreckt. Unwillkürlich beginne ich zu zittern, als ob ich's selber begangen hätte.) – »Der hinterlistige Mord ...« (welcher Mord?) – »an unserem vielgeliebten Thronfolger, Seiner kaiserlich und königlichen Hoheit, dem Erzherzog Franz Ferdinand und höchstdessen Gemahlin« – (Wie? Man hat den Thronfolger ermordet? Wann denn? Richtig, in Brunn standen doch gestern so viele Leute um ein Anschlagsblatt herum – das also war es!) – »hat unser erlauchtes Kaiserhaus in tiefe Trauer und Bestürzung versetzt. Aber die k. u. k. Armee ist es vor allem, die ...«
    Ich höre das Weitere nicht mehr deutlich. Ich weiß nicht warum, aber das eine Wort »Verbrechen«, das Wort »Mord« hat mir wie ein Hammer auf das Herz geschlagen. Wäre ich selber der Mörder gewesen, ich hätte nicht mehr erschrecken können. Ein Verbrechen, ein Mord –das hat doch Condor gesagt. Mit einmal höre ich nicht mehr, was dieser blaue, ordensgeschmückte Federbuschmann dort vorne schwätzt und schmettert. Mit einmal habe ich mich an den Telephonanruf von heute nacht erinnert. Warum hat Condor mir nicht morgens Nachricht gegeben? Ob am Ende nicht doch etwas geschehen ist? Ohne mich beim Oberstleutnant zu melden, benütze ich das allgemeine Durcheinander nach dem Befehl, um rasch ins Hotel zurückzulaufen: vielleicht ist inzwischen doch ein Anruf gekommen.
    Der Portier reicht mir ein Telegramm entgegen. Es sei schon heute früh eingelangt, aber ich wäre so eilig an ihm vorbeigestürzt, daß er es mir nicht habe übergeben können. Ich reiße das Formular auf. Im ersten Augenblick begreife ich nichts. Keine Unterschrift! Ein völlig unverständlicher Text! Dann verstehe ich erst: es ist nichts als der postalische Bescheid, daß mein eigenes Telegramm, aufgegeben um drei Uhr achtundfünfzig Minuten in Brunn, unbestellbar gewesen sei.
    Unbestellbar? Ich starre das Wort an. Ein Telegramm an Edith von Kekesfalva unbestellbar? Jeder Mensch kennt sie doch dort in dem kleinen Ort. Jetzt vermag ich die Spannung nicht mehr zu ertragen. Sofort lasse ich Wien telephonisch anmelden, Doktor Condor. »Dringend?« fragt der Portier. »Ja, dringend.«
    Nach zwanzig Minuten habe ich die Verbindung und – schlimmes Wunder! – Condor ist daheim und gleich selbst am Telephon. In drei Minuten weiß ich alles – bei einem Ferngespräch hat man nicht viel Zeit, schonend zu sprechen. Ein teuflischer Zufall hat alles zunichte gemacht und die Unglückliche von meiner Reue, meinem innigen ehrlichen Entschluß nichts mehr erfahren. Alle Vorkehrungen des Obersten, die Sache zu vertuschen, hatten sich als vergeblich erwiesen. Ferencz und die Kameraden waren vom Kaffeehaus nicht nach Hause, sondern noch indie Weinstube gegangen. Dort hatten sie unglücklicherweise den Apotheker in großer Gesellschaft getroffen, und Ferencz, der gutmütige Tölpel, war aus lauter Liebe zu mir sofort auf ihn losgefahren. Vor allen Leuten hatte er ihn zur Rede gestellt und beschuldigt, derart niederträchtige Lügen über mich zu verbreiten. Es hatte einen furchtbaren Skandal gegeben, am nächsten Tage wußte es die ganze Stadt. Denn der Apotheker, in seiner Ehre tief verletzt, war frühmorgens gleich in die Kaserne gestürmt, um meine Zeugenschaft zu erzwingen, und auf den verdächtigen Bescheid hin, ich sei verschwunden, mit dem Wagen zu den Kekesfalvas hinausgefahren. Dort hatte er den alten Mann in seinem Büro angefallen und gebrüllt, daß die Fenster klirrten, Kekesfalvas hätten ihn mit ihrer »dummen Telephoniererei« zum Narren gehalten, und er als altangesessener Bürger lasse sich von dieser frechen Offiziersbande nichts bieten. Er wisse schon, warum ich so feig Reißaus genommen hätte, und ihm könne man nicht vorschwindeln, daß dies ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher