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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens.
Autoren: Stefan Zweig
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Dank, jetzt ist alles getan, jetzt kann sie nicht mißtrauisch, nicht unruhig werden. Nun erst spüre ich, wie abgemüdet ich bin von diesen zwei angespannten Tagen, diesen zwei schlaflosen Nächten. Und abends in Czaslau anlangend, muß ich alle Kraft zusammenraffen, um das eine Stockwerk zu meinem Hotelzimmer hinauf zutaumeln. Dann stürzte ich in den Schlaf wie in einen Abgrund hinein.
    Ich glaube, ich muß schon im Augenblick des Ausstreckens eingeschlafen sein – es war wie ein Untersinken mit gelähmten Sinnen in eine dunkle, tiefe Flut, tief, tief hinab in einen sonst nie erreichten Grund der Selbstauflösung. Dann erst, viel später, begann ein Traum, von dem ich den Anfang nicht weiß. Nur dies erinnere ich mich noch, daß ich abermals in einem Zimmer stand, ich glaube, es war das Wartezimmer Condors, und auf einmal begann wieder dieser fürchterliche Ton, der mir seit Tagen hölzern in den Schläfen tickte, der rhythmische Krückenton, das schreckliche Tok-tok, Tok-tok. Zuerst klapperte es ganz fern wie von der Straße her und dann näher, Tok-tok, Tok-tok, und jetzt schon ganz nahe, ganz heftig, Tok-tok, Tok-tok, und schließlich so entsetzlich nahe der Zimmertür, daß ich aus dem Traum aufschrecke und erwache.
    Mit offenen Augen starre ich ins Dunkel des fremden Raumes. Aber da abermals: Tok-tok – ein heftiges Pochen von hartem Knöchel. Nein, ich träume nicht mehr, jemand hat angeklopft. Jemand klopft von außen an meine Tür. Ich springe aus dem Bett und öffne hastig. Draußen steht der Nachtportier.
    »Herr Leutnant werden ans Telephon verlangt.«
    Ich starre ihn an. Ich? Ans Telephon? Wo ... wo bin ich denn? Fremdes Zimmer, fremdes Bett ... ach so ... ich bin in ... ach ja, in Czaslau. Aber ich kenn doch hier keinen einzigen Menschen, wer kann mich da mitten in der Nacht ans Telephon rufen? – Unsinn! Es muß mindestens Mitternacht sein. Doch der Portier drängt: »Bitte rasch, Herr Leutnant, ein Ferngespräch aus Wien, ich hab den Namen nicht genau verstanden.«
    Sofort bin ich ganz wach. Aus Wien! Das kann nur Condor sein. Gewiß will er mir Nachricht geben: sie hat mir verziehen. Alles ist geordnet. Ich herrsche den Portier an:
    »Rasch hinunter! Sagen Sie, ich komme sofort.«
    Der Portier verschwindet, ich werfe noch eiligst meinen Mantel über das bloße Hemd und laufe ihm schon nach. Das Telephon befindet sich in der Ecke des ebenerdigen Büros, der Portier hält bereits den Hörer am Ohr. Ungeduldig stoße ich ihn fort, obwohl er sagt: »Es ist unterbrochen«, und horche in die Muschel hinein.
    Aber nichts ... nichts. Nur ein fernes Singen und Surren ... sfff ... sff ... srrr, wie metallene Moskitoflügel. »Hallo, hallo«, schreie ich und warte, warte. Keine Antwort. Nur das höhnische sinnlose Summen. Fröstelt mich so, weil ich nichts anhabe außer dem übergeschlagenen Mantel, oder macht das die jähe Angst? Vielleicht ist die Sache doch aufgeflogen. Oder vielleicht ... ich warte, ich horche, den heißen Kautschukring eng ans Ohr gepreßt. Endlich krx ... krx ... eine Umschaltung und die Stimme des Telephonfräuleins:
    »Haben Sie schon Verbindung?«
    »Nein.«
    »Aber sie war doch eben da, Anruf aus Wien! ... Einen Augenblick bitte. Ich sehe gleich nach.«
    Wieder krx ... krx ... Es schaltet im Apparat, es knarrt,es knackst, es gluckst, es gurgelt. Es saust und schwingt und dann, in allmählicher Abschwächung, wieder nur das feine Surren und Summen der Drähte. Plötzlich eine Stimme, harter barscher Baß:
    »Hier Platzkommando Prag. Spricht dort Kriegsministerium?«
    »Nein, nein«, schreie ich verzweifelt hinein. Die Stimme poltert undeutlich noch etwas und verlischt, verliert sich im Leeren. Wieder nur das stupide Surren und Schwingen und dann neuerdings ein wirrer Sprechschatten von fernen, unverständlichen Stimmen: Endlich das Telephonfräulein:
    »Entschuldigen, ich habe eben nachgesehen. Die Verbindung ist unterbrochen. Ein dringendes Dienstgespräch. Ich gebe sofort Signal, wenn der Abonnent sich wieder meldet. Bitte inzwischen abhängen.«
    Ich hänge ab, erschöpft, enttäuscht, erbittert. Nichts Unsinnigeres, als eine Stimme aus der Ferne schon an sich gerissen zu haben und sie nicht festhalten zu können. Als ob ich einen riesigen Berg zu rasch emporgestiegen wäre, hämmert mir das Herz in der Brust. Was war das? Nur Condor kann das gewesen sein. Aber warum telephoniert er mir jetzt um halb eins in der Nacht?
    Der Portier nähert sich höflich. »Herr Leutnant können
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