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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens.
Autoren: Stefan Zweig
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mitteilen. Aber es ist doch sicher, nicht wahr, daß er vor zwei Uhr nach Hause kommt? Denn knapp nach zwei geht schon der Zug, und er muß hinaus, das heißt ... es ist unbedingt nötig, glauben Sie mir, daß er hinausfährt. Ich übertreibe wirklich nicht.«
    Ich spüre, sie zweifelt nicht. Abermals tritt sie näher, und ich sehe ihre Hand, wie sie sich unbewußt zu einer Geste formt, als ob sie mich beruhigen und beschwichtigen wollte.
    »Selbstverständlich glaube ich es, wenn Sie es sagen. Und haben Sie keine Sorge. Was er tun kann, wird er tun.«
    »Und darf ich ihm schreiben?«
    »Ja, schreiben Sie ihm nur ... dort bitte.«
    Sie geht voraus mit der merkwürdigen Sicherheit eines, der in diesem Raum um jedes Ding weiß. Dutzende Male im Tag muß sie seinen Schreibtisch mit ihren wachsamen Fingern ordnen und betasten, denn sie nimmt aus der linken Lade mit dem genauen Griff eines Sehenden drei, vier Blätter und legt sie mir vollkommen gerade auf die Schreibunterlage hin. »Dort finden Sie Feder und Tinte« wieder weist sie präzis auf die richtige Stelle.
    Ich schreibe in einem Ruck fünf Seiten. Ich beschwöre Condor, er müsse sofort hinaus, sofort – dreimal unterstreiche ich das Wort. Ich erzähle ihm alles, in flüchtigster und aufrichtigster Form. Ich hätte nicht standgehalten, ichhätte die Verlobung abgeleugnet vor den Kameraden – er allein habe gleich von Anfang an erkannt, daß die Furcht vor den andern, die erbärmliche Angst vor dem Geschwätz und Gerede meine Schwäche verschulde. Ich verschweige ihm nicht, daß ich mich selber richten wollte und daß der Oberst mich wider meinen Willen gerettet. Aber nur an mich hätte ich bis zu diesem Augenblick gedacht, jetzt erst begriffe ich, daß ich eine andere, eine Unschuldige mit mir reiße. Sofort , er werde doch verstehen, wie dringlich es sei, solle er hinausfahren – abermals unterstreiche ich das »sofort« – und ihnen die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit. Er solle nichts beschönigen. Er solle mich nicht als besser, als unschuldig hinstellen; wenn sie mir trotzdem meine Schwäche verzeihe, sei mir das Verlöbnis heiliger als je. Jetzt erst sei es mir wirklich heilig, und wenn sie es erlaube, käme ich gleich mit in die Schweiz, ich quittierte den Dienst, ich bliebe bei ihr, gleichgültig, ob sie bald geheilt würde oder später oder nie. Alles würde ich tun, um meine Feigheit, meine Lüge gutzumachen, nur den einen Wert habe mehr mein Leben: ihr zu beweisen, daß ich nicht sie, daß ich nur die andern betrogen hätte. Alles das solle er ihr ehrlich sagen, die volle Wahrheit, denn jetzt erst wisse ich, wie sehr ich ihr verpflichtet sei, mehr als allen andern Menschen, mehr als den Kameraden, als dem Militär. Nur sie solle mich richten, nur sie mir verzeihen. In ihren Händen sei jetzt die Entscheidung, ob sie mir vergeben könne, und er möge – es gehe doch um Tod und Leben – alles stehen und liegen lassen und hinausfahren mit dem Mittagszug. Unbedingt müsse er dort sein um halb fünf, nicht später, unbedingt noch zur Stunde, da sie mich sonst erwarte. Es sei meine letzte Bitte an ihn. Nur dies eine Mal solle er mir helfen und sofort – viermal unterstreiche ich dies jagende »sofort« – solle er hinaus, sonst sei alles verloren.
    Als ich die Feder hinlegte, war mir sofort klar, daß ichmich nun zum erstenmal endgültig entschieden hatte. Im Schreiben erst war mir das Richtige bewußt geworden. Zum erstenmal war ich dem Obersten dankbar, der mich gerettet hatte. Ich wußte: nur einem Menschen, nur ihr, die mich liebte, war ich von nun ab mit meinem ganzen Leben verpflichtet.
    In diesem Moment bemerkte ich auch, daß die Blinde völlig reglos neben mir gestanden hatte. Wieder kam über mich das Gefühl, das unsinnige, sie hätte jedes Wort des Briefes gelesen und sie wisse alles von mir.
    »Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit«, sprang ich sofort auf, »ich hatte ganz vergessen ... aber ... aber ... es war mir so wichtig, daß ich Ihren Herrn Gemahl gleich verständigte ...«
    Sie lächelte mich an.
    »Das macht doch nichts, daß ich ein bißchen gestanden bin. Wichtig war nur das andere. Mein Mann wird sicher tun, was immer Sie von ihm wollen ... ich habe gleich gefühlt – ich kenne doch in seiner Stimme jeden Ton – daß er Sie gern hat, besonders gern ... Und quälen Sie sich nicht« – ihre Stimme wurde immer wärmer – »ich bitte Sie, quälen Sie sich nicht ... es wird bestimmt alles wieder gut werden.«
    »Gott gebe
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