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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens.
Autoren: Stefan Zweig
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es!« sagte ich voll ehrlicher Hoffnung – wurde es denn nicht von den Blinden gesagt, daß sie der Weissagung mächtig seien?
    Ich beugte mich nieder und küßte ihre Hand. Als ich aufsah, begriff ich nicht, daß mir diese Frau mit ihrem grauen Haar, ihrem herben Mund und der Bitternis ihrer blinden Augen zuerst häßlich erschienen war. Denn ihr Antlitz leuchtete von Liebe und menschlichem Mitgefühl. Mir war, als ob diese nur das Dunkel ewig spiegelnden Augen mehr vom Wirklichen des Lebens wüßten als all jene, die hell und strahlend in die Welt sehen.
    Wie ein Genesener nahm ich Abschied. Daß ich indieser Stunde einer andern Verstörten und Verstoßenen des Lebens mich neu und für immer versprochen hatte, dünkte mir mit einem Mal kein Opfer mehr. Nein, nicht die Gesunden, die Sicheren, die Stolzen, die Frohen, die Freudigen lieben – die brauchen es nicht! Die nehmen Liebe nur als gebotene Huldigung, als ihnen schuldige Pflicht hin, hochmütig und gleichgültig. Eine bloße Zutat, ein Schmuck im Haar, eine Spange an den Armen ist ihnen Hingabe eines andern, nicht ihres Lebens ganzer Sinn und Seligkeit. Einzig denen, die das Schicksal benachteiligt hat, einzig den Verstörten, den Zurückgesetzten, den Unsicheren, den Unschönen, den Gedemütigten kann man wahrhaft helfen durch Liebe. Wer ihnen sein Leben hingibt, entgilt, was das Leben ihnen genommen. Nur sie wissen zu lieben und geliebt zu werden, wie man lieben soll: dankbar und demütig.
     
    Mein Bursche wartet getreulich in der Bahnhofshalle. »Komm«, lache ich ihn an. Mir ist mit einmal merkwürdig leicht geworden. Ich weiß mit einer noch nie gekannten Entlastung: endlich habe ich das Richtige getan. Ich habe mich gerettet, ich habe einen anderen Menschen gerettet. Und ich bereue nicht einmal mehr die unsinnige Feigheit der letzten Nacht. Im Gegenteil, ich sage mir: es ist besser so. Es ist besser, daß es so gekommen ist, daß jene, die mir vertrauten, jetzt wissen, daß ich kein Held, kein Heiliger bin, nicht ein Gott, der aus der Wolke gnädig ein armes krankes Wesen zu sich zu heben geruht. Wenn ich jetzt ihre Liebe an mich nehme, ist es kein Opfer mehr. Nein, an mir ist es jetzt, Verzeihung zu fordern, an ihr, sie zu gewähren. Es ist besser so.
    Nie habe ich mich meiner derart sicher gefühlt; nur einmal wehte noch flüchtig ein Schatten von Angst heran, und das war, als in Lundenburg ein dicker Herr hereinstürzteins Coupé und sich keuchend auf den Polstersitz fallen ließ: »Gott sei Dank, daß ich ihn noch erwischt habe. Ohne die sechs Minuten Verspätung hätte ich den Zug versäumt.«
    Unwillkürlich stieß es in mich hinein. Wie, wenn Condor am Ende mittags nicht nach Hause gekommen wäre? Oder zu spät gekommen, um noch den Nachmittagszug zu erreichen? Dann war ja alles vergeblich! Dann wartet und wartet sie. Sofort blitzt das Schreckbild der Terrasse wieder auf: wie sie die Hände anklammert an das Geländer und hinunterstarrt und sich schon neigt über die Tiefe! Um Gottes willen, sie muß doch rechtzeitig erfahren, wie sehr ich meinen Verrat bereue! Rechtzeitig, ehe sie verzweifelt, ehe vielleicht das Entsetzliche geschieht! Am besten, ich telegraphiere von der ersten Station noch ein paar Worte, die sie zuversichtlich machen, für den Fall, daß Condor sie nicht benachrichtigt haben soll.
    In Brunn, der nächsten Station, springe ich aus dem Zug und laufe zum Telegraphenamt des Bahnhofs. Aber was ist denn los? Vor der Tür drängt, dicht geknäult, eine schwarze, traubige Wabe, ein aufgeregter Haufen Menschen und liest einen Anschlag. Mit Gewalt und Grobheit muß ich mich, rücksichtslos die Ellbogen gebrauchend, zur kleinen Glastür in das Postamt durchstoßen. Rasch, rasch jetzt ein Formular! Was schreiben? Nur nicht zu viel! »Edith von Kekesfalva. Kekesfalva. Tausend Grüße von unterwegs und treues Gedenken. Dienstlicher Auftrag. Komme bald zurück. Condor berichtet alles Nähere. Schreibe sofort wie angelangt. Innigst Anton.«
    Ich gebe das Telegramm auf. Wie langsam die Beamtin ist, wie viel sie herumfragt: Absender, Adresse, eine Formalität nach der andern. Und der Zug geht doch schon in zwei Minuten ab. Abermals muß ich ziemlich Gewalt anwenden, um mich durch den neugierigen Haufen vor dem Anschlag durchzudrücken, der sich inzwischennoch vergrößert hat. Was ist denn eigentlich los? will ich eben noch fragen. Aber da gellt bereits das Abfahrtssignal. Mir bleibt gerade noch Zeit, in den Waggon zu springen. Gott sei
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