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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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Studienbedingungen, oft sogar gegen den eigenen Rektor auf die Straße gehen. Sie verfassen Texte, verteilen Flyer, besetzen manchmal Vorlesungsräume, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Und bei dir kommen sie mit so einem Quatsch wie ›Wir sind ein Unternehmen!‹.« Er blieb stehen und fixierte mich mit weit geöffneten Augen. »Und was hast du mir am Telefon gesagt? Die anderen Studenten hätten dich auch fertiggemacht?«
    Ich seufzte. »Masoud, setz dich bitte!« Der Gedanke an die E-Mails verunsicherte mich schon genug. »Wir haben einen E-Mail-Verteiler für den gesamten Jahrgang. Da werden Vorlesungsunterlagen rumgeschickt, oder Leute laden zu Partys ein. Alles Mögliche eben. Seit ein paar Tagen ging es aber fast nur noch um das Buch. Einige wenige wollen wirklich diskutieren, aber es sind auch um die fünfzehn E-Mails dabei, die sehr hart sind. Sie hacken nur auf mir herum, gehen gar nicht auf den Inhalt ein. ›Das Tüpfelchen auf einem ohnehin schon beschissenen Tag‹ hat zum Beispiel einer geschrieben. Ein ›literarisches Ejakulat‹, hat ein anderer geantwortet. Ein paar werfen mir sogar ›Selbstinszenierung, Opportunismus und dümmliche Wahrheitsverzerrung‹ vor. Die E-Mails kommen von den Meinungsmachern unseres Jahrgangs. Das Ganze hat sich etwas gelegt, nachdem einer mahnte, nicht weiter über den E-Mail-Verteiler zu schreiben, weil sonst noch etwas ›an Externe‹ gelangen könne.«
    »Aber wieso trifft sie das, was du gesagt hast, so hart?«, platzte es aus Madar heraus. Sie klang nicht mehr wütend, nur noch traurig.
    »Vielleicht deswegen, weil sie sich mit der WHU völlig identifizieren. Vallendar ist wie ein großes Wohnheim. In fast jeder Straße ist ein WHU -Student untergebracht. Und weil alle viel zu viel lernen müssen, bleibt überhaupt keine Zeit, mal nach Koblenz oder so zu fahren. Alle hocken aufeinander. Die Gespräche drehen sich nur noch um die Uni, die Klausuren oder die Unternehmen, bei denen jemand das nächste Praktikum machte. Es gibt kein anderes Leben außer dem Uni-Leben. Aber, ich glaube, die Leute regen sich vor allem darüber auf, dass ich mit meinen Aussagen den › WHU -Bonus‹ gefährden könnte. Damit ist gemeint, dass der gute Ruf der Uni auf die Absolventen abfärbt und bei der Praktikums- und vor allem Jobsuche sehr entscheidend ist. Das Studieren an der WHU ist eine Qual, allein schon wegen der Unmenge an Vorlesungen und Klausuren. Die Studenten nehmen das hin, gehen an ihre Grenzen und wollen dafür die lukrativen Jobs. Sie wollen ihre Belohnung. Vielleicht habe ich mit meiner Kritik ja wirklich den › WHU -Bonus‹ und damit ihre Belohnung gefährdet. Wisst ihr, wie einige Bewertungen über die WHU zustande kommen?«
    »Meinst du diese Uni-Rankings in Zeitschriften?«, fragte Milad.
    »Ja, genau die. Es ist schon vorgekommen, dass sich der Jahrgangsstufensprecher an uns gewandt hat, um die Befragung im Rahmen einer solchen Beurteilung anzukündigen. Er fügte noch ganz offen hinzu, wir sollen doch im eigenen Interesse beste Bewertungen abgeben. Denn wenn die Uni auf dem ersten Platz stehe, stünden auch wir oben. Meine Aussagen in Julias Buch stellen keine Bestnote dar. In einer der Mails hieß es, ich hätte als ›Insider‹ die kritischen Meinungen über Privatunis bestätigt, und das habe ›politische Auswirkungen‹!«
    Wieder schüttelte Masoud den Kopf. »Ja, wahrscheinlich riskierst du mit deinen Aussagen den › WHU -Bonus‹. Aber ganz bestimmt nicht, weil du die Studenten als schlechte Menschen darstellst. Dir geht es doch um das Ganze. Um die Struktur der Hochschule und um die Zwänge, die auf die Studenten einwirken. Die meisten WHU -Studenten tun wahrscheinlich nichts anderes, als sich an die dortigen Spielregeln zu halten.«
    Masoud sprach mir wieder mal aus der Seele. Seitdem wir vor eineinhalb Jahren mit dem Studium angefangen hatten, wohnten wir Hunderte Kilometer voneinander entfernt, aber gedanklich waren wir uns noch genauso nah wie früher. »Ich wollte niemanden als böse darstellen. Mir ist bewusst, dass viele gar nicht anders handeln können. Wenn man das Bachelor- und Masterstudium an der WHU absolvieren möchte, fallen schon 50 000 Euro allein an Studiengebühren an. Egal, ob das die Eltern bezahlen oder jemand sich bei einer Bank verschuldet: Der Druck bleibt groß, nach dem Abschluss schnell einen Job mit hohem Gehalt zu finden.«
    » Pessaram , mein Sohn«, so hatte Madar mich schon lange nicht mehr angesprochen,
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