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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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der Duft ihrer Gerichte immer noch ein vertrautes Gefühl in mir weckte, war sie mir fremd geworden.
    Babai war noch weiter weg. Nicht nur emotional. Er musste an diesem besonderen Tag allein im Iran bleiben. Wir hatten beiden eine Besuchereinladung geschickt, doch die deutsche Botschaft in Teheran erteilte nur Mamani ein Visum. Selten durften alle Mitglieder einer Familie zu Besuch kommen – eine Art Pfand, damit Auslandsgäste auch wirklich in ihre jeweilige Heimat zurückkehren.
    Erst jetzt entdeckte mich Madar auf dem Flur. Sie wünschte mir einen guten Morgen – Sobh becheyr  – und gab mir einen Kuss. Mit einem Zwinkern bat sie mich darum, Mamani einen großen Gefallen zu tun und die anderen aufzuwecken. Die heruntergelassenen Jalousien hatten Milads Zimmer in Dunkelheit getaucht. Er selbst schlief seelenruhig in seinem Bett, als hätte der Wecker vorhin nicht sirenenartig geschrillt. Auf dem Boden befand sich eine Matratze. Darauf lag Pedar. Er war bereits wach und wir grüßten uns. Seine tiefsitzenden Augen, die grau melierten Haare und sein drahtiger Körper, an dem man jeden Knochen unter der Haut erkennen konnte, machten ihn älter, als er tatsächlich war. Ich fragte mich, von welcher Ähnlichkeit die Leute immer sprachen, die sie zwischen ihm und mir zu erkennen glaubten.
    Nach der Scheidung unserer Eltern hatten wir ein ganzes Jahr lang keinen Kontakt zu Pedar gehabt. Die Streitigkeiten löschten unsere schönen Erinnerungen an ihn aus. Stattdessen wurde er zur Gefahr für unser neues zerbrechliches Leben. Nur langsam hatten wir uns wieder angenähert. Zunächst telefonierten wir ab und zu. Später beschlossen wir, unseren Vater wiederzusehen und besuchten ihn in Zwickau, in seinem schmalen Zimmer im Asylbewerberheim, das er mit einem anderen Mann teilte. Als er anerkannt wurde und in eine eigene Wohnung zog, blieben wir sogar eine ganze Woche dort. Mittlerweile verbrachte ich wieder gern Zeit mit ihm und konnte besser verstehen, warum er damals so heftig reagiert hatte.
    Dass Pedar an diesem Tag hier war und mit uns feiern würde, befremdete mich trotzdem. Zum ersten Mal befanden sich meine Eltern wieder unter demselben Dach. Aber das Verhältnis zwischen ihnen blieb unverändert. Sie sprachen nur äußerst widerwillig miteinander und mieden den anderen größtenteils. Heute mussten sie sich jedoch zusammenreißen.
    Nachdem endlich auch der Letzte auf den Beinen war, verwandelte sich unsere Wohnung in einen orientalischen Bazar. Es wuselte, tönte und klapperte in jedem Zimmer. Mojtaba pochte gegen die Badezimmertür, wo Milad die Dusche in ein Dampfbad verwandelt hatte. Madar redete auf mich ein, dass ich zu meinem Hemd und den Jeans wenigstens ein Jackett tragen müsse. Und Mamani kümmerte sich derweil um meine Frisur. Vor dem Spiegel kämmte sie meine Haare mit einer Vehemenz, wie sie nur iranischen Großmüttern eigen ist. »So ein hübscher Junge«, flötete sie dabei. »So gern hätte ich deine Rehaugen.«
    Meine Kopfhaut brannte vom ganzen Rumgeziehe, aber ich sagte nichts. Mamani sah überglücklich aus, weshalb ich es ertrug, wieder ein Kind zu sein.
    »Jetzt siehst du sehr hübsch aus. Ich werde dir Fotos von den schönsten iranischen Mädchen aus den besten Familien schicken.« Ihr Bauch begann heftig zu wackeln, weil sie lachte – vor Freude, nicht weil es ein Scherz war. Ich schaute sie verlegen an und schmunzelte. Mamani tat mir leid. Gestern hatte sie uns gefragt, was wir studieren wollten. Dann gab sie uns den Tipp, entweder Ingenieur oder Arzt zu werden, weil solche Berufe im Iran hoch angesehen seien. Ich sagte zu alldem nichts und behielt für mich, dass ich weder eine iranische Katalogbraut haben wollte noch einen persischen Traumberuf brauchte. Ich würde niemals in den Iran zurückkehren. Mein Leben war jetzt hier – und es fing gerade erst an.
    Fertig ausstaffiert, standen wir zur Abfahrt bereit. Mamani hatte sich für ihr cremefarbenes Kostüm mit einem dazu passenden Kopftuch entschieden, Madar trug ein schlichtes schwarzes Kleid, Pedar einen alten Anzug mit Krawatte, Milad ein rosa Hemd mit einem schmalen Schlips und Mojtaba und ich jeweils eine Jeans, ein Hemd und ein Jackett.
    Es brodelte schon wieder heftig in mir vor Aufregung und ich konnte es nicht mehr erwarten, Timo und Dario zu sehen. Bevor wir allerdings das Haus verließen, winkte Madar uns drei Brüder verschwörerisch zu sich. Sie bat uns, die Augen zu schließen und die Hände auszustrecken. Wir
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