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Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)

Titel: Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
Autoren: Cynthia Hand
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bestehe?»
    Wieder schaut sie zu mir. Ich halte den Atem an. Einer ihrer Mundwinkel geht leicht nach oben – sie macht sich über mich lustig. Dann wird sie wieder ernst.
    «Aber dann denke ich an das, was ich hier im letzten Jahr gelernt habe, und damit meine ich nicht den Unterricht, sondern was ich gelernt habe, als ich meinen Freunden dabei zugesehen habe, wie sie in die Zukunft blickten und nach ihrer Aufgabe suchten. Ich habe gelernt, dass Sturm und Gewitter nicht immer schlechtes Wetter bedeuten und dass ein Feuer der Anfang von etwas Neuem sein kann. Ich habe herausgefunden, dass es weit mehr Schattierungen von Grau auf dieser Welt gibt, als ich je geahnt habe. Ich habe gelernt, dass es der größte Beweis von Mut überhaupt ist, wenn man Angst hat und trotzdem weiter seinen Weg geht. Und schließlich habe ich gelernt, dass es im Leben im Grunde gar nicht um Erfolg und Misserfolg geht. Es geht darum, präsent zu sein, in dem Augenblick zu leben, in dem wichtige Dinge passieren, in dem sich alles ändert, man selbst eingeschlossen. Also möchte ich uns sagen: Ganz gleich, für wie strahlend wir unsere Zukunft halten, es spielt keine Rolle. Ob wir auf eine vornehme Universität gehen oder zu Hause bleiben und arbeiten. Das macht uns als Mensch nicht aus. Unser Zweck auf dieser Erde ist kein einzelnes Ereignis, keine Leistung, die wir auf einer Strichliste abhaken können. Es gibt keinen Test. Es gibt kein Bestehen oder Durchfallen. Es gibt nur uns, die wir in jedem Moment neu gestalten, wer wir sind und was wir in Zukunft sein werden. Also sage ich: Vergesst das mit der Zukunft. Richtet eure Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt. Auf genau diesen Moment. Löst euch von den Erwartungen. Lebt einfach. Dann seid ihr frei genug, um etwas Großartiges aus euch zu machen.»
    Sie ist fertig. Die Menge applaudiert und applaudiert, ich denke, vor allem weil ihre Rede ziemlich kurz war. Ins eine Ohr hinein, aus dem anderen wieder hinaus, so ist es wohl für die meisten gewesen. Aber nicht für mich. Ich habe sie laut und deutlich gehört.

    «Na schön, ich muss schon sagen, das war ja wohl das Mieseste, Schmalzigste, was ich je in meinem Leben gehört habe», sage ich zu Angela, als wir nachher noch eine Weile herumgehen. Wir umarmen uns, damit Billy ein Foto von uns machen kann. «Mal ganz im Ernst, ja? Lebt einfach? Du solltest Werbeslogans für Nike schreiben.»
    «Das war richtig gut, das kannst du mir glauben. Weisheit des Herzen und so.»
    «Du wirst dann also von jetzt an deiner Aufgabe ganz entspannt entgegensehen, ja?»
    «Entspannt ist nicht das richtige Wort. Zen ist meine Devise hier.»
    «Na, dann viel Glück damit.»
    «He.» Sie wirkt ein kleines bisschen gekränkt. «Meine Rede hat dir wirklich nicht gefallen? Ich habe sie nämlich irgendwie für dich geschrieben.»
    «Ich weiß. Und sie hat mir gefallen. Ich habe in letzter Zeit nur nicht viel Luft zum Philosophieren. Ich bin immer noch beschäftigt mit Einatmen … Ausatmen …»
    «Hast du schon mit Tucker geredet?», fragt sie.
    Sie weiß wirklich, wie man einen schönen Moment verdirbt.
    «Nein.»
    «Tja, dann wirst du das jeden Moment», sagt sie und starrt über meine Schulter hinweg. «Wir sehen uns dann später.»
    Damit ist sie verschwunden, untergegangen in einem Meer aus schwarzen und weißen Talaren. Ich drehe mich um und sehe Tucker direkt hinter mir stehen. Er scheint sich unbehaglich zu fühlen.
    «Hi, Karotte», sagt er.
    «Hi.»
    «Schon verrückt, was?»
    «Was meinst du?»
    «Schulabschluss.» Er deutet auf alles um uns herum. «Endlich können wir uns aus dem Staub machen.»
    «Oh. Aha. Verrückt.»
    Seine Augen verengen sich, er sieht nur noch mich an. «Können wir einen Moment nach draußen gehen und reden?»
    Ich folge ihm nach draußen, auf das grasbewachsene Gelände hinter der Schule. Hier ist es ruhiger, aber auch hier hören wir das Gesumm der Unterhaltungen aus der Sporthalle. Tucker steckt die Hände in die Hosentaschen.
    «Es tut mir leid. Ich hab mich neulich wie ein Idiot benommen. Ich weiß nicht, ich war wohl überrascht, und dann sah ich …» Er hält inne, holt tief Luft. «Ich denke, der Höhlenmensch in mir hat die Oberhand gewonnen. Es tut mir leid», sagt er noch einmal.
    Mir will einfach keine Antwort einfallen, bei der ich nicht in Tränen ausbrechen würde.
    Tucker räuspert sich. «Wie geht es dir?»
    «Im Moment? Es ging schon mal besser.»
    «Nein, ich meine …» Er seufzt. «Ach, Mann, ich hatte
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