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Und trotzdem ist es Liebe

Und trotzdem ist es Liebe

Titel: Und trotzdem ist es Liebe
Autoren: Emily Giffin
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zu sein und ein Kind zu erwarten. Unser Kind. Und zum allerersten Mal in meinem ganzen Leben wünsche ich mir beinahe eins.

Einunddreißig
    Daphne will mich überreden, bei ihr zu übernachten, aber ich sage, ich habe zu viel Arbeit. Die Wahrheit ist: Ich will allein sein, um ungestört weiter in Selbstmitleid zu versinken. Und in den nächsten drei Tagen tue ich genau das: Ich suhle mich in hätte , wäre und könnte und in dem, was niemals sein wird.
    Jeden Tag gehe ich irgendwann unter die Dusche und putze mir die Zähne, aber das ist das ganze Ausmaß meiner Körperpflege. Ich lasse mir Essen kommen – je fettiger, desto besser. Ich trinke Unmengen Wein und mache schon vor dem Dunkelwerden die erste Flasche auf. Ich höre traurige Musikstücke, aber auch fröhliche Musikstücke, die mich an Ben erinnern und die deshalb auch traurig sind. Ich lese in alten Tagebüchern. Ich blättere in unseren Fotoalben und wühle in Kartons voller Programmhefte und Eintrittskartenabschnitte und Zettel, die wir uns gegenseitig auf dem Küchentisch hinterlassen haben. Banales Zeug wie: Bin in einer Stunde wieder da. Liebe dich, Ben . Ich durchlebe alle unsere Erinnerungen, und am längsten und ausgiebigsten befasse ich mich mit den kleinen, vertrauten, scheinbar bedeutungslosen Augenblicken, von denen ich glaubte, dass es sie für Ben und mich immer geben würde.
    Ich gehe nicht ans Telefon und verlasse die Wohnung erst wieder am Sonntagnachmittag. Die Lokalnachrichten und der Blick aus dem Fenster verraten mir, dass es draußen kalt und feucht ist, aber ich verzichte trotzdem auf Handschuhe, Schal und Mütze und ziehe nur eine gefütterte Jeansjacke über. Die schwere Tür des Vorkriegsgebäudes fällt hinter mir ins Schloss, und ich atme die kalte Luft ein. Sie ist scharf und wohltuend zugleich. Ziellos wandere ich durch die praktisch menschenleeren Straßen der Stadt, und irgendwann lande ich auf einer Bank im Washington Square Park. An einem Tisch neben mir spielen zwei alte Männer Schach. Sie sehen aus wie Brüder, aber vielleicht sehen auch alle alten Männer für mich einfach gleich aus. Jedenfalls gleichen sie einander wie ein Ei dem andern: Beide haben die gleichen klobigen, altersfleckigen Hände, und beide tragen graubraune Kuriermützen und schwarze orthopädische Schuhe, die Spitzen nach außen und von ihren Klappstühlen abgewandt. Vom Schach kenne ich nur die Grundregeln – ich weiß, wie die verschiedenen Figuren ziehen dürfen –, aber ich tue trotzdem so, als begutachte ich ihre Strategie. Ich ziehe die Stirn kraus und nicke, als wollte ich sagen: «Aah. Sehr gut. Jetzt haben Sie ihn!» Sie ignorieren ihr Einpersonenpublikum, und ich fühle mich so unsichtbar wie die Luft und einsamer denn je. Eine Stunde scheint zu vergehen, bis der eine schließlich einen wortlosen Sieg erringt, ohne auch nur «Schachmatt» zu sagen.
    Ich stehe auf und gehe in der windigen Dunkelheit nach Hause. Ich kann an nichts anderes denken als an Ben und Tucker, die irgendwo zusammen lachen, wo es warm und hell ist, und sich im Glück ihrer Verlobung sonnen.
    An diesem Abend greife ich zum Telefon, um Ben anzurufen und unseren Lunch abzusagen. Ich habe mir meine Ausrede schon zurechtgelegt: «Im Verlag ist etwas dazwischengekommen.» Vielleicht werde ich sogar einen von Jess’ Bankerausdrücken benutzen: Muss Feuerwehr spielen . Ich weiß noch, wie Ben sich deshalb mal über Jess lustig machte und zu ihr sagte: «Das ist eine Beleidigung aller braven Männer und Frauen bei der Feuerwehr.» Und dann sagte er noch: «So kannst du doch Charlie nicht dissen», und er meinte meinen High-School-Boyfriend.
    Aber bevor ich zu Ende gewählt habe, lege ich wieder auf. Ich will mit meinem letzten Anruf lieber bis morgen früh warten. Das Risiko, dass er den Abend heute mit Tucker verbringt, ist mir zu groß. Die Vorstellung, sie könnte im Hintergrund lauern – so nah bei Ben, dass sie meine Stimme hören kann –, ertrage ich einfach nicht. Es würde alles noch viel schlimmer machen – als wäre das, was ich hier durchmache, nicht schon schlimm genug.
    Ein paar planlos vertrödelte Stunden später bin ich im Bett und versuche zu schlafen. Ich bin gerade eingedöst, als Michael und Jess von ihrem Trip zurückkommen. Ich höre das herzliche Lachen eines frischverliebten Paars. Sie sind immer noch im seligen Anfangsstadium einer Beziehung, wo man ständig geistreiche Insiderwitze reißt. Ich ziehe mir das Kissen über den Kopf und sage mir,
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