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Und tot bist du

Und tot bist du

Titel: Und tot bist du
Autoren: Mary Higgins Clark
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in Henry vorging. Sie konnten dem kleinen Jungen nicht helfen. Er trauerte lautlos und einsam, und dagegen konnten alle Spielzeuge der Welt nichts ausrichten. Vielleicht gehörte er wirklich in ein Krankenhaus, wo Fachleute ihn betreuen würden.

    Sunday fühlte sich genauso hilflos wie vor einigen Wochen, als sie, Henry und ihr Vater auf das Ergebnis der Operation an ihrer Mutter gewartet hatten.
    »Was überlegst du, Liebling?« fragte Henry leise.
    »Daß sich ab morgen die Ärzte um ihn kümmern sollten.
    Du hattest recht. Wir tun ihm keinen Gefallen, indem wir ihn hierbehalten.«
    »Das finde ich auch.«
    »Ich fühle mich überhaupt nicht wie an Weihnachten«, sagte Sunday leise. »Ein verlassenes Kind … ich fasse es nicht, daß niemand nach ihm sucht. Stell dir mal vor, wie es uns gehen würde, wenn unser kleiner Junge verschwunden wäre.«
    Henry wollte schon antworten, doch dann neigte er plötzlich den Kopf. »Hör mal, die Sternsinger kommen.«
    Er öffnete das Fenster. Kalte Luft wehte herein, und die Sternsinger näherten sich dem Haus. Sie sangen »God Rest You, Merry Gentlemen.«
    Und fürchtet euch nicht, dachte Sunday. Leise summte sie mit, als die Sänger »Stille Nacht« anstimmten.
    Während sie das nächste Lied sangen, spendeten sie und Henry begeistert Beifall.
    Da trat der Vorsänger ans Fenster. »Mr. President«, sagte er. »Wir haben für Sie ein besonderes Lied einstudiert, weil wir gehört haben, daß Sie es in Ihrer Schulzeit am liebsten hatten.«
    Er schlug die Stimmgabel an, und sie fingen leise an zu singen.
    Un flambeau, Jeannette Isabelle,
    Un flambeau, courrons au berceau.
    C’est Jésus, bonnes gens du hameau
    Le Christ est né …

    Sunday hörte hinter sich ein Geräusch. Jacques, der bis dahin zusammengekauert auf dem Sofa gesessen hatte, fuhr plötzlich hoch und riß die Augen auf. Lautlos murmelte er den Text des Liedes mit.
    »Henry«, meinte Sunday. »Schau mal. Siehst du, was ich sehe?«
    Henry wandte sich um. »Was ist, Liebling?«
    »So schau doch!«
    Unauffällig beobachtete Henry Jacques. »Er kennt das Lied.« Henry ging zum Sofa und nahm den kleinen Jungen in die Arme.
    »Noch einmal, bitte«, forderte er die Sänger auf. Doch als sie das Lied wiederholten, preßte Jacque nur die Lippen zusammen.
    Nachdem die Sternsinger fort waren, wandte sich Henry auf französisch an den kleinen Jungen: »Comment t’appelles-tu? Où habites-tu?«
    Aber Jacques schloß wortlos die Augen.
    Achselzuckend blickte Henry Sunday an. »Ich bin mit meinem Latein am Ende. Er antwortet nicht, aber ich glaube, er hat die Fragen verstanden.«
    Sunday musterte Jacques nachdenklich. »Henry, dir ist bestimmt aufgefallen, wie fasziniert unser kleiner Freund war, als heute morgen ein Flugzeug über uns hinweggeflogen ist.«
    »Du hast mich darauf hingewiesen.«
    »Und letzte Nacht ist dasselbe passiert. Was ist, wenn dieser Junge aus einem anderen Land stammt? Dann wäre es kein Wunder, daß niemand ihn als vermißt gemeldet hat. Sims hat doch eins der Flugblätter mit seiner Beschreibung mitgebracht.«
    »Ja.«

    »Henry, du wolltest doch deine Weihnachtsgrüße über Internet versenden.«
    »Wie jedes Jahr. Um Mitternacht.«
    »Dann tu mir bitte einen Gefallen.« Sunday zeigte auf Jacques. »Gib dieses Jahr auch das Flugblatt ein und wende dich besonders an die Menschen in Frankreich und in anderen französischsprechenden Ländern. Und von jetzt an unterhalten wir uns nur noch auf Französisch. Vielleicht bringt es uns ja nicht weiter, aber wir müssen nach jedem Strohhalm greifen.«
    In Paris war es Viertel vor sechs Uhr morgens, als Louis de Coyes, eine Kaffeetasse in der Hand, in sein Arbeitszimmer ging und den Computer einschaltete. Er freute sich nicht besonders darauf, den Weihnachtstag allein zu verbringen. Aber wenigstens war er am Abend bei Freunden zum Essen eingeladen. Ohne Jacques und Giselle war das Haus einsam. Doch Louis gefiel der Mann, der seine Tochter geheiratet hatte. Richard Dalton war ein Schwiegersohn, wie ihn sich jeder Vater wünschte.
    Außerdem würden sie ihn sicher häufig besuchen. Sie hatten versprochen, daß er Jacques weiter Unterricht im Gebrauch des Internet geben konnte. Bald würde sein Enkel in der Lage sein, selbständig über Email Nachrichten zu schicken. Jetzt mußte es an der Ostküste der Vereinigten Staaten fast Mitternacht sein, und Louis wollte die Weihnachtsbotschaft von Henry Parker Britland IV. an seine Freunde lesen. Louis hatte den
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