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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
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und hielt Irene den Hörer hin.
    Irene stand auf, kam durch den Raum und nahm an. »Ja?« Sie lauschte eine Weile und verzog das Gesicht, schließlich sagte sie: »Na ja, wenn das sein muß. Schade, ich hatte gedacht, wir könnten vielleicht irgendwas unternehmen. Schön, dann werd ich ein bißchen aufräumen. Bis irgendwann um Mitternacht.«
    Damit hängte sie ein.
    »Robert hat schon wieder eine von diesen späten Verabredungen«, sagte sie mürrisch.
    »Hat er das öfter?«
    »In den letzten Wochen so im Schnitt zwei- bis dreimal. Er meint, es könnte was Größeres werden und er könnt mir nichts sagen. Wär diskret und geheim und wichtig und so, aber wenn's was würde, würd's ein dicker Knaller. Mir war lieber, er hätt ein bißchen mehr Zeit.«
    »Was soll das heißen, Knaller? Ich mein, bei 'nem Anwalt. Bei 'nem Reporter, okay, aber was hat Robert mit Knallern zu tun?« Sie kicherte und setzte hinzu: »Ich hab nie den Eindruck gehabt, daß es bei ihm richtig knallt, was auch immer. Entschuldige.«
    Irene hob die Brauen.
    Gegen sechs Uhr klingelte das Telefon erneut. Wieder ging Sylvia an den Apparat, und wieder war es für Irene.
    »Wer?« sagte sie, während sie durch den Raum kam.
    »Andreas.«
    »Aha. – Ja, hier Irene. Was ist los?«
    Sie lauschte, nickte und murmelte ein paarmal »Ja«. Schließlich sagte sie: »Okay, wenn du es heute nicht schaffst, dann morgen früh. Ich bin so ab acht auf. Bis dann. Tschüs.«
    Sylvia war wieder neugierig, und Irene hatte die kurze Mißstimmung von vorhin offenbar wieder vergessen.
    »Was Wichtiges?«
    »Na ja, wie man's nimmt. Er hatte vor ein paar Wochen für morgen früh einen Termin mit einem Bankmenschen gemacht, wegen Papieren und Versicherungen und so. Hatte sich deshalb extra für morgen frei genommen, lange im voraus. Jetzt spielt das ja keine Rolle mehr.«
    »Wieso spielt was keine Rolle mehr?«
    »Na, das Freinehmen. Er ist arbeitslos. Die Firma, bei der er war, ist pleite. – Jedenfalls ist morgen der Termin, und da ist natürlich noch einiges zu regeln, mit unseren Sachen, meine ich. Einiges läuft ja auf meinen Namen, obwohl beide dran beteiligt sind. Sachen, bei denen ich wegen des Geschäfts bessere Zins- oder Steuerkonditionen kriege als er. Da müssen wir natürlich sehen, was wir damit jetzt machen.«
    Sie starrte einen Moment ins Leere.
    »Merkwürdig, all die Trümmer nach ein paar Jahren«, sagte sie dann. »Meine Lebensversicherung, zum Beispiel. Wenn mir was passiert, kriegt er das Geld, und umgekehrt. Das müssen wir jetzt natürlich ändern. All dieser Papierkram.«
    Pünktlich um halb sieben machte Irene den Laden zu.
    »Sag mal.« Sie wandte sich an Sylvia, vor der Boutique. »Macht es dir was aus, morgen noch mal den Vormittag allein zu sein? Ich weiß nicht genau, wann Andreas diesen Termin hat und wie schnell wir mit unseren Sachen klarkommen.«
    Sylvia schüttelte den Kopf. »Macht mir nichts aus.« »Schön. Dann bis irgendwann morgen mittag.« »Tschüs. Räum schön auf.«
    Irene hatte keine Lust, noch etwas zu unternehmen oder jemanden zu sehen. In Roberts Wohnung machte sie sich ein paar Spiegeleier, Toast, einen Topf Tee. Langsam und zerstreut aß sie, bis sie merkte, daß alles schneller kalt wurde, als sie es verzehrte.
    Danach räumte sie noch halben Herzens einen Teil ihrer bisher herumliegenden Sachen weg. Schließlich schaltete sie den Fernseher ein. Irgendwann kurz vor Mitternacht ging sie ins Bett. Sie war noch wach, als Robert kam. Er war zu müde, um noch viel zu essen oder zu reden. Als sie einschlief, schnarchte er bereits leise.

3. Kapitel
    Ziegler. Bitte nehmen Sie Platz, Herr Goldberg.«
    Andreas setzte sich wortlos. Er stand noch unter dem Eindruck der gräßlichen Bilder.
    Der Hauptkommissar betrachtete ihn prüfend. Irgendwie nahm Andreas einen mittelgroßen Mann mit grauem Haar, Geheimratsecken und einem gekerbten Gesicht wahr. Jemand brachte Kaffee. Andreas nahm einen Schluck und rauchte eine Zigarette, von der er nichts schmeckte.
    Ziegler räusperte sich und blickte auf die Uhr. Es war kurz nach zehn. »Herr Goldberg«, sagte er halblaut, »es tut mir leid, aber wir konnten es Ihnen nicht ersparen.«
    Andreas nickte und zündete sich mechanisch eine weitere Zigarette an. Er sah alles wie durch Milchglas und hörte wie durch Watte. Vier Schußwunden.
    »Darf ich Ihnen trotzdem einige Fragen stellen?«
    Er nickte.
    Ziegler musterte ihn skeptisch, als erwarte er nicht allzuviel von der Befragung. »War Ihre
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