Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
alt, der in den Bergen östlich von Bonn, am Übergang zum Westerwald, in den vergangenen Jahrzehnten einen alten Fachwerkhof schnuckelig ausgebaut hatte und dort mit einer erstaunlichen Sammlung toter Tiere und lebender Weine hauste.
    Als Andreas die Küche betrat, rührte der alte Mann in der Pfanne herum. »Hunger?«
    »Nein, eigentlich hab ich gerade erst gefrühstückt. Was gibt's denn?«
    In der Pfanne entstand eine undefinierbare, köstlich duftende Tunke. Hermann Goldberg wies mit dem Kopf auf den Backofen, in dem Andreas nur Folie erkennen konnte.
    »Braune Forellen.«
    Andreas nickte. »Also, wenn was abfällt.«
    »Hm.«
    Die nächsten Minuten verbrachten sie schweigend. Der alte Goldberg zog aus einem Wandschrank selbstgebackenes Weißbrot hervor; mit einer Kopfbewegung schickte er Andreas in den nicht ganz tiefgelegenen Weinkeller. Andreas wählte nicht lange aus; sein Großvater kannte ein paar Winzer an der Mosel, die sich weigerten, ihre gesamte Ernte zu zuckern. Mit einer Riesling-Spätlese '76 kehrte er in die Küche zurück. Sein Großvater brach in einen vollständigen Satz des Entsetzens aus.
    »Braune Bachforelle und '76er Spätlese! Viel zu schwer. Dazu nimmt man einen Gros Plant oder Muscadet oder so. Höchstens 'nen angeschnibbelten Weißklevner. Pah.«
    Andreas verzichtete darauf zu fragen, was ein angeschnibbelter Weißklevner sei. Der Großvater nahm die Flasche und verschwand in schweigender Empörung.
    Andreas war einige Monate nicht mehr bei seinem Großvater gewesen und hatte das Gefühl, irgend etwas habe sich verändert. Die Bohlen knarrten wie immer. Auf dem massiven Eichentisch lag eine rotweißkarierte Tischdecke, die fast bis zur Hälfte der gedrechselten Beine hinabreichte. Vielleicht war die Decke neu, aber das war es nicht. Auch nicht die Lampe, die zwischen den schweren Tragebalken baumelte. Der Wandschrank, der alte Bauernschrank mit der verzierten Tür, hinter der sich Geschirr befand – kopfschüttelnd bemerkte Andreas endlich neben der Tür zum Flur einen kleinen Getränkekühlschrank, der dem Knurren nach mit Volldampf arbeitete. Er hob die Klappe und sah hinein – mehrere Vögel und eine Kreuzotter. Er schüttelte sich und schloß die Klappe wieder.
    Hermann Goldberg kam zurück, in der Hand eine Flasche eines zwei Jahre alten Sancerre.
    »Oder so was«, knurrte er, während er die Flasche geräuschlos entkorkte. Andreas betrachtete die von dicken Adern gemusterten Hände, die immer noch zu Feinarbeit fähig waren. Er schnitt ein paar Scheiben von dem frischen Weißbrot ab, holte Knoblauchbutter aus dem Wandschrank und suchte Gläser, während sein Großvater den Fisch auflegte.
    Nach einigen Gabeln strich der alte Mann graue Haare hinter das linke Ohr und betrachtete seinen Enkel. »Nix zu tun?«
    »Ich mach heut blau. Keine Lust.«
    »Hm.«
    Nach dem Essen holte der Alte Schachbrett und Figuren – selbstgeschnitzt, aus schwerem rötlichen Holz, das Andreas nicht identifizieren konnte, und mit wundervoller Maserung – aus einer Schublade.
    »Hm?«
    »Sicher.«
    Der Großvater überließ Andreas das Aufbauen der Figuren und holte einen irdenen Tabakstopf und mehrere Pfeifen aus einem anderen Zimmer. Andreas nahm die angebotene Pfeife schweigend an, was er seit langer Zeit nicht mehr getan hatte. Gegen halb drei begannen sie mit der ersten Partie. Nach der zweiten Partie und Flasche blickte Andreas auf die Uhr; es war kurz vor sechs, und er hatte beide Partien verloren. Aber gute Partien, die zu verlieren mehr Spaß macht als mancher Sieg.
    Hermann Goldberg lehnte sich zurück und stieß eine dicke Rauchwolke aus. Dann legte er die Pfeife auf den Tisch und richtete den Zeigefinger drohend auf Andreas.
    »Also: Ihr habt euch getrennt, und du hast gekündigt.«
    Andreas zuckte zusammen. »Jein. Getrennt, und die Firma ist pleite. Kommt aber aufs gleiche raus. Bloß: Woher weißt du das?«
    Der Großvater grinste. »Völlig klar. Irene hat dir immer die Pfeife madig gemacht, weil man dann stinkt. Wenn du nicht irgendwas Dickes auf dem Herzen hättest, hättest du mir längst irgendeinen seichten Unsinn erzählt. Drittens hast du lausig gespielt. An irgendwas gedacht, was dir nicht unangenehm ist. Viertens fehlt an deinem Finger der Ring.«
    »Volltreffer, Großvater. Irene ist vorgestern nach einem letzten fetten Krach ausgezogen, ich hab gestern zum letzten Mal bei Schmitz gearbeitet. Pleite.«
    Der alte Mann holte die nächste Flasche. Während er sie entkorkte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher