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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt
Autoren: Ludwig Laher
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in der nahen Kolchose aushilft. Unentschlossen ist er, sanft, gefühlsbetont, aber davon kann man sich nichts kaufen, faul ist er und ein Nichtsnutz, meint die Mutter zornig, sie weiß nicht, wo sie das Geld hernehmen soll, die Sozialhilfe reicht hinten und vorne nicht. Wenigstens sind die Grundnahrungsmittel noch preisgestützt.
    Die traditionelle Welt der Roma war in diesem Land schon lange vor dem Krieg untergegangen. Integrationsmaßnahmen und Zwangsumsiedlungen im sozialistischen Staat boten vielen dann die Absprungbasis in ein besseres Leben, freilich um den Preis, Sprache und Kultur für immer hinter sich zu lassen. Für den Großteil der Tschechen und Slowaken blieben diese sozialen Aufsteiger, diese dunklen Mitbewohner in den frischen Mietshochhäusern am Stadtrand aber bloß gewöhnliche Zigeuner und daher minderwertig, während die im Elend Zurückgebliebenen, jedenfalls die tonangebenden Männer, von den Aussteigern meist nichts mehr wissen wollten. Sie schienen ihnen, je nachdem, Verräter zu sein oder eine Bedrohung: Die uralten Clanbeziehungen waren gesprengt, die traditionellen Hierarchien und Autoritäten zerfallen und die Patriarchen nutzlos geworden.
    Die Frauen waren es, die sich wie seit Urzeiten um die alltäglichen Dinge des Lebens bekümmerten, den Haushalt, die Kinder, während viele Männer es schlicht unter ihrer Würde ansahen, als Schichtarbeiter in die Fabrik zu gehen oder daheim die ärmlichen Unterkünfte auszubessern und wohnlicher zu gestalten. Auch Schulbildung für die Kinder, besonders für die Mädchen, war ihnen in erster Linie ein Anschlag auf ihre Rolle als Herr im Haus.
    Überall fochten sie einen aussichtslosen Abwehrkampf, in abgewohnten alten Innenstädten, in von den vertriebenen Deutschen verlassenen Einzelgehöften und Dörfern kreuz und quer im ganzen Land, in Elendsquartieren wie Monikas heimatlicher Siedlung. Sie griffen zur Flasche, um zu vergessen, und immer häufiger zu zweifelhaften Geschäftspraktiken, um sich aufzuwerten. Hatten sie das Pech, wie Monikas Vater an eine starke Frau zu geraten, sie früh zu schwängern und in einer jungen Familie aufzuwachen, wo, wie sie meinten, bösartige weibliche Wühlarbeit ihnen den Boden unter den Füßen wegzog, war ihre letzte Bastion geschleift.
    In Monikas Umgebung sprechen alle Menschen Romanes, einzig der Mutter, der geliebten Mutter, kommt nie auch nur eine Silbe in der Muttersprache über die Lippen, wenn sie sich mit den Kindern unterhält. Sie ist aus dem Heim widerwillig in die frühere Umgebung zurückgekehrt, für ein anderes Leben fehlten Geld, Kraft, Mut und Wissen. Sie liest gern, malt gern. Derlei schätzt man nicht besonders, wo sie herkommt. Außerdem redet sie eben beharrlich slowakisch, selbst wenn die Angesprochenen ihren Worten kaum folgen können. Von vielen in der Siedlung wird sie deshalb als Außenseiterin empfunden. Wenigstens die Kinder aber sollen einen Startvorteil haben und früh die Sprache der Weißen kennenlernen, ist sie überzeugt. Monika antwortet ebenso beharrlich auf romanes, zuhause muß sie dafür allerdings keine Ohrfeigen einstecken.
    Der Vater geht immer öfter saufen, hält die Kumpane frei, kommt betrunken heim und weint. Er geht zu anderen Frauen, bleibt Tage aus, kommt wortlos heim und starrt beim einzigen Fenster hinaus. Er geht Essen organisieren, Salami oder Süßigkeiten, Zappzarapp heißt das in der Fachsprache, Diebstahl im Strafrecht. Wenn er dann eine Zeitlang gar nicht kommt, weil er geschnappt worden ist, spricht sich das in der Siedlung durch wie ein Lauffeuer.
    Weh tut, wie gesagt, der dauernde Streit der Eltern mit Worten, befreiend erlebt Monika es dagegen, wenn die Mutter wieder einmal ernst macht, den Vater gnadenlos verdrischt, ohne viel zu reden, bis er wimmernd in einer Ecke hockt, ein zusammengekrümmtes Häufchen Elend, eine verachtenswerte Jammergestalt. Nein, er tut Monika nicht leid in einem solchen Moment, im Gegenteil. Der Zorn wird wachsen.
    Dann ist er ganz weg, nicht im Gefängnis diesmal, sondern zu einer anderen Frau gezogen. Für die Mutter ist das eine persönliche Niederlage, eine schwere Kränkung. Sie will ihn heute zurück, verflucht ihn morgen. Jetzt sucht sie selbst die Nähe anderer Männer, aber sie macht sich nicht schön für sie, geilt sie nicht auf, schläft nicht mit ihnen, benutzt sie vielmehr als Saufkameraden, läßt sich gehen und verwahrlost. Monika schaut hilflos zu und malt sich aus, eines Tages selbst den Vater windelweich
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