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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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ein halbes Dutzend Polizisten eliminiert haben. Sein engster Mitstreiter, Rotchäppli, hat allein sieben Schussverletzungen.
    Allerdings stößt auch Junkies Courage manchmal an ihre Grenzen, etwa wenn ihm ein Tausendfüßler begegnet. In der Nacht, in der die Hitze, die Stechmücken und die Flohbisse uns sowieso um den Schlaf bringen, springt er immer wieder auf, schlägt auf Insekten ein und dichtet Ritzen im Mauerwerk ab. Sobald er das Knistern eines Bonbonpapiers hört, ist er hellwach und fast hysterisch. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt, der meist damit endet, dass Junkie den Rückzug antritt und sich im Freien eine Schlafstatt baut, um die er leere Plastikflaschen aufstellt. Ein Frühwarnsystem, das ihm endlich das Gefühl einer gewissen Sicherheit vermittelt.
    Für die Männer ist der Gebrauch von Waffen so selbstverständlich, dass sie diese Waffen recht nachlässig behandeln. Die Handgranaten und die Panzerfaust lassen sie oft zwischen den Steinhütten auf einem Haufen liegen. Und bis auf Junkie und Rotchäppli achtet keiner auf die Grundregeln der Handhabung. Die Waffen sind nicht gesichert, meist zeigt der Lauf auf unser Gesicht, auch beim Marschieren liegt der Finger am Abzug. Jedes Stolpern könnte fatale Folgen haben.
    David schaut mich an, sieht die Waffen an. Ich weiß, was er mir sagen will. Wir könnten uns die Waffen schnappen und uns wehren. Aber die Gewehre tragen sie meistens bei sich. Sollen wir die Handgranaten auf sie werfen? Oder heimlich fliehen? Aber wohin? So weit das Auge reicht, nur Steinwüste. Keine Straße, keine Zivilisation. Wir wissen nicht, wo wir sind.
    Am Nachmittag des zweiten Tages erleben wir ein beeindruckendes Schauspiel. Die Männer haben in freudiger Erregung auf Geißenpeter gewartet, der gegen sechzehn Uhr durch die karstige Landschaft kommt. Den Grund der Vorfreude erkennen wir auch gleich: Es ist eine Ziege, die unser Entführer an ihren langen Ohren hinter sich herzieht. Ein mageres Tier mit schwarz-weiß gemustertem Fell, das vor der Hütte angebunden wird. Wir wissen, dass die Ziege nur zu einem Zweck gekauft worden sein kann, und nähern uns, um sie ein wenig zu beruhigen. Wir streicheln sie, nehmen den scharfen Geruch wahr, die Wärme und die ängstliche Zutraulichkeit.
    Unterdessen kommt der Koch mit einem alten, rostigen Fleischermesser, das er an einem Stein zu schärfen versucht. Gemeinsam mit Geißenpeter zerrt er das Tier etwa dreißig Meter von der Hütte weg, wirft es zu Boden und drückt die Kehle auf einen Stein. Die Männer rufen David und fragen, ob er die Ziege töten möchte. Sie albern herum. Vielleicht wollen sie David testen, vielleicht haben sie auch einfach keine Lust, sich mit der stumpfen Klinge abzuplagen. Schließlich nimmt Geißenpeter das Messer und säbelt der Ziege den Hals auf, das Blut schießt in die Höhe, die Ziege gibt ein jämmerliches Meckern, dann ein Quieken und schließlich ein Röcheln von sich, begleitet vom Ruf der Entführer: »Allahu akbar«, »Allah ist der Größte.« Man lässt das Tier ausbluten, dann werden die Füße abgehackt. Die Männer krempeln sich die Ärmel hoch und fahren bis zum Ellbogen mit der Hand unter das Fell. Wieder und wieder schieben sie ihre Unterarme hinein, um die Haut von den Muskeln zu lösen, bis sie aussehen, als hätten sie im Blut gebadet.
    Rotchäppli zerlegt das Tier. Blase, Füße, Fell und Kopf werden liegen gelassen, ein Teil des rohen, warmen Fleisches auf einen Dornbusch gelegt. Sofort setzen sich Fliegen darauf.
    Der Koch wäscht Innereien und Fleisch und kocht die Stücke stundenlang, während das Herz nur kurz über dem Feuer angebraten wird. Der Koch kommt mit dem gebratenen Ziegenherz, das auf einem verblichenen Plastikteller liegt, und überreicht es Junkie, dem Anführer. Dieser gibt es als Zeichen der Gastfreundschaft an David weiter. David teilt es, isst davon und gibt die andere Hälfte Junkie zurück. Ich bin froh, dass ich in diesem Ritual keine Rolle spiele.
    Aus dem restlichen Fleisch wird ein Gulasch bereitet, das die Männer zu Fladenbrot essen. Ich habe keinen Hunger und begnüge mich mit ein wenig gesalzenem Brot.
    Nach vier Tagen soll das Auto endlich da sein. Kurz zuvor haben David und ich uns zum ersten Mal gewaschen. Getrennt voneinander. Man hat uns einen Eimer Wasser und ein Stück Seife gegeben. Ich kauere mich hinter einen Felsen und gieße, während ich die Anwesenheit eines Bewachers spüre, ein Rinnsal braunes, kühles Wasser über mich.
    Bei
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