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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer
Autoren: Corina Bomann
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lange auf sich warten. Seine Mutter hatte geschrieben, dass sein Vater immer noch furchtbar ungehalten sei – aber froh, dass es ihm und auch mir gut ging. Sie würde sich sehr freuen, mich kennenzulernen.
    Eines Morgens, als ich auf dem Weg durch das Zeltlager war – schon wieder waren irgendwelche Kamerateams vor dem Zaun, die die Flüchtlinge filmten, als wären sie Zootiere –, hörte ich eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam. Sie war nicht an mich gerichtet, sondern sagte etwas zu jemand anderem. Aber irgendwie …
    Vor einem Zelt standen ein paar Jungs und unterhielten sich. Drei davon hatte ich noch nie zuvor gesehen, aber der vierte …
    »Lorenz?«, fragte ich ungläubig, als ich den pinkfarbenen Iro vor mir sah.
    Der junge Mann in der Lederweste wirbelte herum. Seine Augen wurden weit vor Erstaunen.
    »Milena!«
    Tatsächlich, er war es! Er hatte es ebenfalls gewagt!
    Sogleich fielen wir uns in die Arme und fingen an zu heulen wie die Schlosshunde. Lorenz drückte mir fast die Luft ab, aber das war mir egal, ich drückte zurück, so kräftig ich konnte, dann hörte ich auf einmal, dass er weinte. Lorenz, der Punker, weinte! Und ich weinte mit ihm. Scheiß drauf, was die anderen ringsherum dachten!
    Einen Platz zu finden, an dem wir ungestört reden konnten, war zu dieser Zeit fast unmöglich. Aber wir ergatterten eine kleine Lücke neben einem der Zaunpfosten. Draußen standen wieder die Schaulustigen, von denen es hieß, dass sie extra herkamen, um die DDR -Flüchtlinge anzugucken, von denen so viel im Fernsehen geredet wurde. Wir ignorierten sie und hockten uns neben dem Pfosten auf den Boden.
    »Ich hatte so eine Angst um dich!«, gestand Lorenz, noch immer ein wenig schluchzend. »Keiner wusste, wo du abgeblieben bist.«
    »Das war ja auch Sinn und Zweck der Übung«, entgegnete ich. Mittlerweile hatte ich mich schon etwas beruhigt.
    »Dein Alter ist vollkommen ausgetickt, der stand eines Tages bei uns vor der Wohnung und wollte wissen, wo du bist. Das wusste ich natürlich nicht und mein Vater hat ihn rausgeschmissen, als er pampig wurde. Der Typ war so irre, dass er mir an der Bahn aufgelauert hat, aber selbst da konnte ich es ihm nicht sagen.«
    Das klang irgendwie so gar nicht nach meinem Vater. Und dann wieder doch. Ich erinnerte mich noch gut an die Ohrfeige. Auch da hatte er nicht bekommen, was er wollte.
    »Und wie bist du hergekommen? Du bist doch nicht etwa wie Claudius durch den Tunnel …«
    »Der ist durch den Tunnel gekommen?« Lorenz wirkte entsetzt. »Hat er dich etwa …«
    »Er ist durch den Tunnel gekommen, weil du ihm den blöden Scheiß gezeigt hast!« Das war so ziemlich das einzige Hühnchen, das ich mit ihm rupfen wollte. »Und nein, so doof, mich durch den Tunnel zu schleppen und uns der Gefahr auszusetzen, erschossen zu werden, war er nicht.«
    Lorenz senkte den Kopf. »’tschuldige. Ich wollte vor ihm ein bisschen angeben, ich konnte ja nicht wissen, dass er ernst machen würde.«
    »Wenn du Claudius näher kennst, wirst du sehen, dass er bei vielen Dingen ernst macht.«
    »Aber warum ist er denn nicht ganz legal rübergekommen?«
    »Weil er nicht wollte, dass die Stasi von ihm weiß. Und nach dem, was meine Mutter erzählt hat, war es auf eine Art gut, denn die Stasi neigt dazu, Fluchthelfer umzubringen.«
    »Deine Mutter?« Lorenz bekam den Mund nicht mehr zu. »Aber ich denke …«
    »Man merkt, dass wir uns schon lange nicht mehr gesehen haben«, gab ich zurück und erzählte ihm dann alles seit dem ersten Ärger mit der Stasi und der Enthüllung, dass meine Mutter eigentlich noch lebte.
    »Krass«, bemerkte er.
    »Und wie war das bei dir? Wieso bist du hergekommen?«
    »Weil ich gehört habe, dass es geht. Und weil ich die Schnauze voll hatte von dem allen. Ich wollte mich im nächsten Jahr nicht schon wieder mit dem Jugendwerkhof bedrohen und mir schlechte Zensuren reinwürgen lassen. Ich hab einfach meinen Rucksack gepackt, bin mit dem Zug an die Grenze gefahren und dann getrampt.«
    Das klang alles so einfach! Aber Lorenz hatte ja auch keinen illegalen BRD -Bürger bei sich gehabt.
    »Und woher wusstest du, dass die Leute hier in die Botschaft flüchten?«
    »Westfernsehen natürlich! Bei uns berichten sie nicht davon. Wenn du überhaupt mal was zu hören kriegst, dann dass das alles Verräter sind, denen man keine Träne nachweinen muss.«
    Das fand ich jetzt krass. »Hast du eigentlich mal was von Sabine gehört?« Ihr hatte ich kurz nach meiner
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