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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf
Autoren: Carl Reinecke
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entstieg und in blassblauem Kleide durch eine Hintertür in den Kunsttempel schlüpfte. Dieser Kunsttempel glich allerdings mehr einem Kornmagazin als einer der Kunst geweihten Stätte, nur die Inschrift auf der Stirnseite „Der Muse unserer Mitbürger!“ deutete auf seine Bestimmung. Die Erinnerung an diesen Moment hat mich nie verlassen, ebensowenig wie der Eindruck, den mir ihr Spiel in dem Konzert in Hamburg gemacht hatte. Selbstverständlich war Clara Wieck noch lange nicht die Künstlerin, die später als Gattin Robert Schumanns die Höhen der Kunst erklomm. Demgemäß war auch ihr Programm ein recht buntscheckiges, und so hörte ich von ihr neben Werken von Bach und Chopin auch die „Bravourvariationen“ von Henri Herz über die Romanze aus Méhul's „Joseph in Ägypten“, ein elegantes, mit allen Virtuosenstücken gespicktes, aber gehaltloses Stück. Indessen was fragte ich als zehnjähriger Bube danach, der ich noch unter demselben Banne stand und mir auch an diesem Stücke die Finger zerbrach. Ich war einfach entzückt.
     Manches Jahr sollte vergehen, bevor ich das Glück hatte, die inzwischen überall hochgefeierte Künstlerin persönlich kennen zu lernen. Sie war im Dezember 1843 zur allerersten Aufführung von Schumanns herrlichem Chorwerk „Das Paradies und die Peri“ mit ihrem Gatten von Dresden nach Leipzig gekommen. Ich war erst seit zwei Monaten in Leipzig und pries mich glücklich, diesem musikalischen Ereignis beiwohnen zu können. Clara Schumann sang im Chore mit, gewiss eine seltene Erscheinung! Um diese Zeit hatte ich den Vorzug, dem edlen, verehrten Künstlerpaare in einer uns gemeinsam bekannten Familie vorgestellt zu werden, doch blieb es einstweilen bei dieser flüchtigen Bekanntschaft. Erst im Jahre 1846, nachdem Schumann in engere Beziehung zu mir getreten war, bildete sich zwischen uns eine Art kollegialischen Verhältnisses. Im Januar desselben Jahres lud mich Schumann nach Dresden ein. Dort verbrachte ich im traulichen Heim des liebenswürdigen Künstlerpaares viel schöne Stunden, ich brachte auch ein schönes Andenken in Gestalt eines Albumblattes von der Hand der genialen Frau mit nach Hause. Gegenwärtig sind berühmte Künstler gewöhnt, kurzweg ihren Namen eilig ins Album zu schreiben, aber Clara Schumann schrieb mir noch nach alter guter Sitte „zu freundlichem Erinnern“ ein ganzes Präludium aus ihrem Opus 16 ein, datiert „Dresden, Januar 1846“. Da ich in den nächsten Jahren ein Nomadenleben führte, war ich dem Ehepaar Schumann oft weit entrückt, doch eines Tages erhielt ich in meiner nordischen Heimat plötzlich einen Brief von der verehrten Frau, der mich ungemein erfreute. Er war vom 4. Oktober 1848 aus Dresden datiert und begleitete das Manuskript von Schumanns berühmtem Album für die Jugend. Sie bat mich im Namen ihres Mannes, einige der Stücke dem Musikverleger Jul. Schuberth in Hamburg vorzuspielen. Rührend ist's zu lesen, wie entzückt sie sich über das Werk ausspricht: „Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Werk, dem ich schon manche genussreiche Stunde verdanke, sich einer großen Teilnahme erfreuen wird, denn nicht allein, dass die Stücke durch ihre Originalität, mit der sie den Spieler und Hörer in die verschiedensten Stimmungen versetzen, aufs Höchste interessieren, so sind sie auch sehr leicht ausführbar.“ Und ferner: „In diesem scheinbar kleineren Werke steckt ein Schatz von Poesie und Gemüt. Die Begeisterung, lieber Herr Reinecke, unter uns – denn es möchte wohl manchem Anderen sonderbar erscheinen, dass ich als Frau so urteile, doch Ihnen, einem Musiker gegenüber, scheint mir das wohl erlaubt.“ Es bedarf wohl nicht der Versicherung, dass ich sofort die Bitte erfüllte, und wie sehr sich das Urteil der Künstlerin bewahrheitet hat, weiß die Welt, denn dieses Werk ist eines der populärsten des großen Meisters, dessen hundertsten Geburtstag man im Jahre 1910 sicher an vielen Orten festlich begehen wird.
    Erst als ich mein Zelt in Bremen aufgeschlagen hatte, sollte ich wieder die Freude einer persönlichen Begegnung haben, als Clara dort ein Konzert gab und mich aufforderte, ihres Gatten berühmte Variationen für zwei Flügel mit ihr zusammen zu spielen. Am darauf folgenden Tage brachten beide mir zum Danke ihr Bild (einen vortrefflichen Stich nach dem Medaillon von Rietschel) mit der Unterschrift „Zur freundlichen Erinnerung an Rob. Schumann, Clara Schumann. Bremen, den 9.März 1850.“
     Ebenso teuer wie
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