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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben
Autoren: Colin Dexter
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auf ein Jahr
die Zeitschrift Birdwatching abonniert, sich aus der Bezirksbücherei von
Summertown ein Exemplar des Birdwatchers’ Guide geholt und ein
gebrauchtes Fernglas 152/1000m (9,90 Pfund) erworben, das er im Schaufenster
des Oxfam-Ladens in der Banbury Road entdeckt hatte. Zur Abrundung dieses
Programms hatte er in der Zoohandlung von Summertown einen kleinen
walzenförmigen, mit Erdnüssen bestückten Drahtbehälter erstanden. Dieses
Gebilde hing jetzt an einem Ast, der in seinen Garten hineinragte. An dem Ast, der in seinen Garten hineinragte.
    Morse griff nach dem Fernglas
und stellte es auf ein interessantes Exemplar scharf, das an den im Gras
verstreuten Erdnüssen herumpickte. Es war ein kleiner Vogel mit grauem Kopf,
dunkelbraunen Blockstreifen über dem schmutzig rötlichen Gefieder des Rückens
und hellerem Bauch. Morse bemühte sich sehr, sich das Aussehen des kleinen
Prachtstücks einzuprägen, um es anhand seines bunten Federkleides nach der
entsprechenden Illustration im Guide identifizieren zu können.
    Aber das hatte Zeit bis später.
    Zunächst lehnte er sich wieder
zurück, lauschte beglückt der warmen Stimme der Schwarzkopf und las dazu den
Text, der auf seinem Schoß lag: «Du holde Kunst, in wie viel grauen Stunden...»
    Wenig später schreckte er aus
seiner angenehm melancholischen Stimmung hoch, weil jemand dreimal energisch
die Wohnungstürklingel betätigt hatte, die nach Meinung etlicher Nachbarn eine
selbst für Schwerhörige unangemessen hohe Dezibelzahl aufwies.
     
     
     
     

Kapitel
2
     
    Wenn
Napoleon sein Adlerauge über die Liste der zur Beförderung vorgeschlagenen
Offiziere wandern ließ, pflegte er neben bestimmten Namen am Rand zu vermerken:
«Aber hat er auch eine glückliche Hand?»
    (Felix Kirkmarkham, The Genius of Napoleon)
     
    «Ich störe doch nicht?»
    Morse antwortete nicht direkt
auf die Frage, aber für die meisten seiner Zeitgenossen wäre die
schicksalsergebene Miene Antwort genug gewesen.
    Für die meisten seiner
Zeitgenossen.
    Er war genötigt, die Tür bis
zum Anschlag aufzumachen, damit sein unerwarteter Besuch durch die relativ
schmale Öffnung paßte.
    «Ich störe doch nicht...»
    «Nein, nein. Es ist nur...»
    «Also, ganz ehrlich, alter
Freund...» Chief Superintendent Strange horchte mit schiefgelegtem Kopf zum
Wohnzimmer hin. «Ob ich Sie störe, ist mir verdammt egal. Mir war’s nur
unangenehm, dem alten Schubert in die Quere zu kommen.»
    Wie schon so oft im Laufe ihrer
Bekanntschaft ertappte sich Morse dabei, dass er seine Meinung über den Mann
revidieren musste, der jetzt geräuschvoll schnaufend seinen mächtigen Leib auf
einem Sessel unterbrachte und bequem zurechtrückte.
    Morse hatte sich längst
abgewöhnt, Strange nach Getränkewünschen zu fragen. Wenn Strange Alkoholisches
oder auch Nichtalkoholisches zu trinken wünschte, pflegte er das sofort und
ohne Umschweife kundzutun.
    «Ist das Single Malt, was Sie
da trinken, Morse?»
    Erst nachdem Morse das Glas
seines Besuchers einmal und noch ein zweites Mal gefüllt hatte, kam Strange auf
den Zweck seines abendlichen Besuches zu sprechen.
    «Die Zeitungen — sogar die
Boulevardblätter — haben mich mal wieder groß rausgebracht. Haben Sie die
gestrige Times gelesen?»
    «Ich lese nie die Times.»
    «Was? Das verdammte Blatt liegt
doch da drüben auf dem Couchtisch!»
    «Nur wegen des
Kreuzworträtsels. Und der Leserbriefe.»
    «Nicht wegen der
Todesanzeigen?»
    «Die überfliege ich
allenfalls.»
    «Um festzustellen, ob Sie
drinstehen?»
    «Um festzustellen, ob Jüngere
als ich dabei sind.»
    «Wie bitte?»
    «Wenn sie jünger sind als ich,
habe ich — das hat mir mal ein Statistiker erklärt — eine etwas bessere Chance,
älter zu werden als der Durchschnitt.»
    «Hm.» Strange nickte, schien
aber nicht ganz bei der Sache zu sein. «Haben Sie Angst vor dem Tod?»
    «Ein bisschen schon.»
    Strange griff unvermittelt nach
seinem zweiten Scotch und kippte ihn auf einen Zug hinunter, wie ein Besucher
der russischen Botschaft den Begrüßungswodka.
    «Und wie steht’s mit Fernsehen,
Morse? Haben Sie gestern Abend die Nachrichten aus dem Südosten gesehen?»
    «Ich habe zwar einen Fernseher
und auch einen Videorecorder, aber irgendwie komme ich nie dazu, den Kasten
anzustellen, und mit dem Videorecorder schlage ich mich mehr schlecht als recht
herum.»
    «Und wie wollen Sie dann
durchschauen, was draußen in der großen weiten Welt vorgeht? Von Ihnen wird
erwartet, dass Sie wissen,
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