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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben
Autoren: Colin Dexter
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das Fernglas scharf gestellt.
    «Verstehen Sie was von Vögeln?»
    «Wahrscheinlich mehr als Sie.»
    «Prächtiger kleiner Geselle,
was?»
    «Gesellin.»
    «Bitte?»
    «Noch nicht geschlechtsreifes
Weibchen der Spezies.»
    «Welcher Spezies?»
    « Passer domesticus ,
Morse. Wissen Sie denn nicht mal, wie ein gewöhnlicher Haussperling aussieht?»
    Wieder einmal war Morse genötigt,
Chief Superintendent Strange in all seiner wunderlichen Widersprüchlichkeit
insgeheim Abbitte zu leisten.
    «Lassen Sie sich die Sache
durch den Kopf gehen, Morse. Wollen Sie mir wenigstens das versprechen?»
    Der Chief Inspector nickte
matt.
    Und Strange lächelte zufrieden.
«Na also. Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass ich Ihnen
Sergeant Lewis als rechte Hand zur Verfügung stellen werde. Ich — äh — habe
kurz mit ihm gesprochen, ehe ich herkam, und...»
    «Soll das heißen, dass Sie
schon...»
    Strange schnippte mit einem
Wurstfinger gegen den geschliffenen Whiskybecher. «Müsste das nicht gefeiert
werden?»
     
     
     
     

Kapitel
4
     
    Er
und der düster schweigend Geist traten sich gegenüber —
    Es
kannt ein jeder des andren Herz bis in den tiefsten Grund;
    So
groß war ihre Stärke, dass doch keiner je darüber
    Den
früheren Freund und künf’tgen Feind vergessen kunnt.
    Doch
beider Augen zeigten edle ew’ge Trauer über
    Ein
grausam Schicksal, das sie zwingt, mehr als ihr beider Wunsch,
    Und
das als Zeitraum ihres Kampfes die Ewigkeit bestimmt
    Und
für ihr beider Kampfgebiet den ganzen Himmel nimmt.
    (Byron, Die Vision des Gerichts, XXXI)
     
    Es gibt Menschen, die
freundschaftlich miteinander umgehen können, ohne Freunde zu sein. Andere
wieder können Freunde sein, ohne freundschaftlich miteinander umzugehen. Die
Beziehung zwischen Morse und Strange gehörte seit jeher in die zweite
Kategorie.
    «Lesen Sie auch das», verlangte
Strange fast gebieterisch und holte, als er Morse ein liniertes A4-Blatt
zuschob, so schwungvoll aus, dass sein Glas auf dem Parkettboden landete und in
tausend Stücke ging.
    «Tut mir Leid.»
    Morse erhob sich widerwillig,
um Handfeger und Müllschaufel aus der Küche zu holen.
    «Hätte schlimmer kommen
können», bemerkte Strange. «Gut, dass es nicht voll war.»
    Während Morse sorgsam die
Scherben zusammenkehrte — das Glas war eins von einem halben Dutzend (jetzt
einem Vierteldutzend), das ihm seine Mutter vermacht hatte —, packte ihn eine
dem Zwischenfall völlig unangemessene irrationale Wut. Er zählte bis zwanzig
und beruhigte sich langsam, während Strange ein Loblied auf die Gläser zu
fünfzig Pence pro Stück sang, die er neulich als Sonderangebot in der
Markthalle entdeckt hatte.
    «Ist wohl besser, wenn ich
keinen Scotch mehr trinke.»
    «Wenn Sie noch fahren
müssen...»
    «Ich muss nicht fahren, ich
werde gefahren. Und dass ich mir ausgerechnet von Ihnen Belehrungen über
Alkohol am Steuer anhören muss, ist eigentlich ein starkes Stück. Aber es
stimmt schon — wir haben genug.»
    Morse las, wie wir wissen,
immer sehr langsam, und da er in diesem Augenblick das dringende Bedürfnis
verspürte, mindestens bis zehn zu zählen, dauerte die Lektüre der beiden
handgeschriebenen Absätze geraume Zeit. Als er fertig war, legte er das Blatt
wortlos hin.
    Strange brach das Schweigen.
    «Also, wenn ich es mir recht
überlege, könnten wir vielleicht doch... ein kleines Schlückchen, wie...?»
    «Nicht für mich.»
    «Das war als Pluralis
Majestatis gedacht, Morse.»
    Der kam zu dem Schluss, dass
eine Drehung um hundertachtzig Grad genau genommen nichts anderes als die
rationale Korrektur eines vorher irrtümlich eingeschlagenen Kurses war, und
schenkte noch einmal ein, für Strange in eins der Billiggläser, die er vor ein
paar Wochen für nur fünfzig Pence das Stück in der Markthalle erstanden hatte.
    «Ist das der Text, den unser
guter Sergeant vom Dienst sich notiert hat?» Morse deutete auf das liniierte
Blatt.
    «N-nein, nicht ganz», sagte
Strange merkwürdig zögernd. «Das habe ich geschrieben, soweit ich... den genauen
Wortlaut ausmachen konnte. Schwierig, wenn man so was aus zweiter Hand bekommt,
womöglich noch entstellt...»
    «So schwierig kann das doch
nicht sein», wunderte sich Morse. «Was im Präsidium einläuft, wird doch alles
aufgezeichnet.»
    «Ja, schon, aber die Qualität
ist manchmal ziemlich mies, und wenn jemand leise und undeutlich spricht...»
    Morse sah seinen Vorgesetzten
an und lächelte schmal. «Mit einem Wort: Das
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