Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
haben könnte. Er liegt im
Krankenhaus, wo man leicht ein bisschen deprimiert und verletzlich wird — das
gilt übrigens auch fürs Pflegepersonal! —, sein Zustand ist ernst, und eine
attraktive Krankenschwester hilft ihm über den Berg. Sie verguckt sich in
ihn...»
    «Woher wissen Sie das?»
    «Sie hat es mir erzählt — eines
Nachts im Krankenhaus... Morse verguckt sich ein bisschen in sie — was man ihm
nicht verdenken kann —, und als er entlassen wird, schreibt er ihr einen Brief
und fragt sie, warum sie sich nicht bei ihm gemeldet hat. Sie antwortet nicht,
behält aber seinen Brief. Und warum, Lewis? Weil sie nicht weiß, wie sie damit
umgehen soll, dass sie sich verliebt hat.»
    «Und woher wissen Sie das nun
wieder?»
    «Spielt das eine Rolle? Als sie
ermordet wurde... nun ja, den Rest kennen Sie. Morse bearbeitete damals mit
Ihnen einen anderen Fall und sagte, mit beiden Fällen wären Sie überfordert.»
    «Das hat er erst gesagt,
nachdem er seinen Brief gefunden hatte.»
    «Lewis!»
    «Nachdem er die Handschellen
erkannt hatte.»
    «Jetzt hören Sie mal zu, Lewis.
Nichts von dem, was Morse damals getan hat, hat die Ermittlungen beeinflusst.
Yvonne hat ein paar Briefe von Freunden — abartigen und normalen —
aufgehoben.Von Barron war keiner dabei. Vielleicht, weil er ihr nie geschrieben
hat, vielleicht, weil sie keinen Wert auf seine Briefe legte.»
    «Nur die von ihren
Lieblingsfreiern.»
    «Das wissen Sie. Sie haben die
Briefe gesehen.»
    «Einige», sagte Lewis
nachdenklich.
    «Ich habe sie alle gesehen.»
    «Auch den von Morse.»
    «Es ist kein Verbrechen, einen
Brief zu schreiben. Und es war, wie gesagt, unerheblich.» Strange machte ein
ärgerliches Gesicht. «Es wäre nur ein bisschen peinlich gewesen. Na schön —
ziemlich peinlich. Ich wollte den dummen Kerl schützen. Für einen Heiligen
haben Sie ihn doch wohl nicht gehalten...»
    Lewis schwieg einen Augenblick.
Nein, mit einem Heiligenschein konnte er sich Morse beim besten Willen nicht
vorstellen.
    Aber an dem, was er eben gehört
hatte, stimmte irgendwas nicht.
    «Sie haben den Brief also vor
Morse gesehen, hab ich das richtig verstanden?»
    «Morse hat den Brief überhaupt
nicht gesehen, bis Sie ihm die eine Seite gezeigt haben. Ich habe den
Brief aus den Akten genommen, Lewis. Nicht Morse.»
    «Und Sie haben nicht
nachgeprüft...»
    «Wie denn? Es war ein ziemlich
langer Brief, ich habe ihn nicht gelesen. Deshalb habe ich nicht gemerkt, dass
eine Seite fehlt.»
    «Sie haben also einen Teil des
Beweismaterials getrennt aufbewahrt?»
    «Leider ja. Wenn Sie es
unbedingt wissen wollen: Ich hatte eine Heidenangst, dass einer meiner eigenen
Briefe dabei sein könnte. Später konnte ich das Zeug, solange die Ermittlung
lief, nicht wieder in die Box zurückgeben.»
    «Und als der Fall wieder
aufgerollt wurde, haben Sie eine neue Box genommen und...»
    Strange nickte. «Ich habe ein
verdammt schlechtes Gewissen deswegen, aber...»
    «Warum hat Morse die Seite, die
Sie übersehen hatten, nicht entdeckt?»
    «Vielleicht hat er nicht so
genau hingesehen, es war nicht seine Art. Vielleicht hatte er kein besonderes
Interesse an den stilistischen Unzulänglichkeiten von Yvonnes Bewunderern. Und
auch Rechtschreibfehler waren ihm verhasst, stimmt’s? Oder er fand, dass die
Briefe — wie auch seiner — einfach zu intim waren. Fest steht für mich nur,
dass er nicht nach einer Liste der Liebhaber gesucht hat, die möglicherweise in
jener Nacht mit Yvonne im Bett lagen. Er wusste aus irgendeinem Grund, wer der
Mann war. Er hat mir gesagt, wer es war, und er hat Ihnen gesagt, wer es war,
und er hatte Recht.»
    Lewis nickte.
    Aber der Knirps aus dem
Supermarkt hörte nicht auf zu zerren.
    «Jede Menge Briefe, und keiner,
der uns weitergeholfen hätte. Aber nur ein Paar Handschellen. Morse wusste,
dass es kein Problem war, ihrem Besitzer auf die Spur zu kommen. Deshalb hat er
die Ausgabeliste vernichtet, und wir wissen beide warum. Weil es seine
Handschellen waren.»
    «Kommen Sie, Lewis. Es gibt
hundertmal Schlimmeres, als ein Paar blöde Handschellen, die er noch nie
benutzt hatte, einer Frau zu schenken, die ihn darum gebeten hatte — aus
welchem Grund auch immer.»
    Lewis schüttelte nachdenklich
den Kopf und blickte bedrückt auf den Kantinenboden.
    «Es sah ihm einfach nicht
ähnlich...»
    «Und das können Sie ihm nicht
verzeihen?»
    «Natürlich kann ich ihm
verzeihen. Es war nur ein ziemlicher Schlag nach so vielen gemeinsamen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher