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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben
Autoren: Colin Dexter
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gewesen, und sie war fast glücklich.
    «Danke, Frank! Du bist ein
schrecklicher Schwindler — das weißt du ja selber — , aber ich genieße diese
Tage mit dir sehr, und auch das weißt du.»
    «Ja, das weiß ich. Nur schade,
dass sie so schnell vorübergehen.»
    «Und wir könnten wirklich nicht
noch ein bisschen bleiben? Ein, zwei Tage? Wenigstens einen Tag?»
    «Nein. Wir fliegen morgen wie
geplant zurück. Ich habe eine Besprechung.»
    «Eine Besprechung mit dem
Vorstand?»
    «Nein, etwas viel
Interessanteres. Eine Besprechung mit einem Kriminalbeamten. Ich kenne ihn
bisher nur von einer Begegnung auf einer Beerdigung, aber er ist... wohl ein
bisschen so wie ich. Er würde nie vor jemandem weglaufen, und ich würde mir nie
verzeihen, wenn ich vor ihm weglaufen würde.»
    Maxine sah ihn an und begriff,
dass sie diesen Mann wahrscheinlich liebte. Im ersten Rausch ihrer Beziehung
hatten sich ihre Gedanken nur um Daimlers und Diamanten gedreht, inzwischen
aber waren ihr Wein und Rosen der letzten achtundvierzig Stunden weit
wichtiger.
    Plötzlich spürte sie, dass sie
ihn nie wieder sehen würde, und es drängte sie, mit ihm allein zu sein, sich
ihm hinzugeben.
    «Fahren wir zurück ins Hotel,
Frank.»
    «Was? An einem so schönen
sonnigen Nachmittag?»
    «Ja.»
    Frank Harrison beugte sich vor
und legte ihr die rechte Hand auf die nackte Schulter. «Soll ich dir mal was
verraten, Liebling? Genau dasselbe wollte ich auch gerade vorschlagen.»
    Es war ein glücklicher Moment.
    Ein kurzer Moment.
    Harrison stand auf.
    «Ich muss nur noch mal
telefonieren.»
    «Das kannst du doch vom
Hotelzimmer aus machen.»
    «Nein, es ist etwas
Persönliches.»
    «Und du möchtest nicht, dass
ich...»
    «Nein, das möchte ich nicht.»
     
    «Wenn er irgendwas haben
will...», hatte der Arzt gesagt, und deshalb rief die Schwester, als Morse
seine zweite Bitte aussprach (die erste war ihm schon erfüllt worden), sofort
im Präsidium an. Morse wollte Lewis und Strange sprechen.
    Vielleicht hatte sie die beiden
Namen in alphabetischer Reihenfolge genannt, aber Lewis hatte gehofft, dass
Morse ihm nicht nur vom Alphabet her den Vorzug geben würde. In dieser Hoffnung
sah er sich allerdings zunächst getäuscht, denn während er sich wartend im
Hintergrund hielt, wurde klar, dass es Strange war, der auf der Besucherliste
des Chief Inspector an erster Stelle stand.
    «Na, da haben Sie sich ja eine
schöne Geschichte eingebrockt, Morse.»
    «Sieht so aus, leider.»
    «Aber Sie sind in den besten
Händen.»
    «Das wird wohl nicht reichen.»
    «Hören Sie, Morse, glauben Sie
nicht, es wäre gut, wenn... glauben Sie nicht, ich müsste...»
    Morse schüttelte leicht erregt
den Kopf.
    «Nein. Bitte. Wenn Sie wirklich
helfen wollen...»
    «Ja, natürlich.»
    «Könnten Sie Lewis bitten...»
    «Ja, natürlich. Und Sie halten
die Ohren steif, alter Freund. Das ist ein Befehl. Vergessen Sie nicht, dass
ich immer noch Ihr Vorgesetzter bin.»
    «Lewis», sagte Morse leise,
aber klar verständlich. Er hatte die Augen geöffnet, und seine Lippen bewegten
sich, als wollte er noch etwas sagen.
    Als nichts mehr kam,
beschränkte sich Lewis auf das, womit sich so viele Besucher an einem
Krankenhausbett helfen — auf ein paar tröstliche Worte.
    «Die besten Ärzte von
Oxfordshire kümmern sich um Sie, Sir. Sie brauchen nur zu machen, was sie
sagen. Versprechen Sie mir das? Und dann wollte ich Ihnen vor allem noch danken
für...»
    Weiter kam er nicht.
    Morse hatte die Augen wieder
geschlossen und den Kopf zu der weißen Wand gedreht.
    Ein einziges Wort von ihm hätte
Lewis genügt.
    Doch es sollte nicht sein.
    Eine Krankenschwester stand
neben ihm und stellte wieder einmal seine Lippenlesekünste auf die Probe. «Sie
müssen jetzt leider gehen.»
     
    Zehn nach vier schien Morse
sich ein wenig zu erholen und hob die Hand.
    «Kriege ich noch einen Schluck
Scotch, Schwester?», flüsterte er.
    Sie goss die kläglich kleine
Menge aus der zweiten Miniflasche in ein Glas und hielt mit fragendem Blick
einen Krug mit Wasser darüber.
    «Ja?»
    «Nein», sagte Morse.
    Sie legte ihm einen Arm um die
Schulter, zog ihn zu sich heran und hielt ihm das Glas an die Lippen, aber die
Schluckbewegungen waren so matt, dass sie sich fragte, ob auch nur ein einziger
Tropfen bis zu seiner Kehle gekommen war. Als er hustete und spuckte, nahm sie
das Glas weg, hielt ihn einen Augenblick ganz fest und bettete dann behutsam
und tieftraurig den weißen Kopf wieder auf die
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