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Und kurz ist unser Leben

Und kurz ist unser Leben

Titel: Und kurz ist unser Leben
Autoren: Colin Dexter
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nickte und
betrachtete von hinten ihre Beine, als sie das Restaurant verließ.
    Ja, das mit dem Frühstück hatte
er geregelt.
    Und alles andere auch.
    Fast alles.
     
     
     
     

Kapitel
73
     
    Wenn
Furcht mich fasst, dass nun das Ende naht,
    Es
meine Feder packt der wimmelnden Gedanken Menge ...
    (Keats, Sonette)
     
    Langsam ging Morse vom Woodstock
Arms nach Hause. Er war, wie wir wissen, enttäuscht, aber nicht sonderlich
überrascht, dass der Favorit im Harrison-Rennen kurz vor den Zielpfosten
gestürzt war. Jetzt aber dämmerte ihm allmählich die ganze Wahrheit. Und da ihm
etwas zu viel Bier angenehm im Bauch herumschwappte, hatte er sich vorhin ganz
gegen seine Gewohnheit eine Kleinigkeit zu essen bestellt, ein
Roastbeefsandwich mit reichlich Meerrettich, das ihm großartig geschmeckt
hatte. Heute Nacht würde er vermutlich gut schlafen. Später. Denn jetzt drängte
es ihn zunächst, die Notizen im Mordfall Harrison abzuschließen.
Vorsichtshalber, damit sich die wunderbar logische Lösung, die im Lauf des
Tages in seinem Kopf zustande gekommen war, nicht am Ende wieder verflüchtigte.
    Morse wusste jetzt, dass er
sich viel früher auf die eine Frage hätte konzentrieren müssen, die ihm im Fall
Harrison die meisten Rätsel aufgegeben hatte — die Frage des Motivs. Bislang
war in dieser Beziehung Simon als Täter am wahrscheinlichsten gewesen, denn die
Mutter-Sohn-Beziehung war sehr eng, viel zu eng gewesen. Nicht schlecht
gedacht. Aber heute Nachmittag hatte eine hübsche vollbusige junge Frau durch
einen einzigen Kinobesuch mit Simon Harrison in aller Unschuld sein sorgsam
konstruiertes Argumentationsgebäude zum Einsturz gebracht.
    Zu Hause schenkte sich Morse
einen nicht allzu großzügigen Schluck Glenfiddich ein, zog einen Schlafanzug
mit grellen weißen, lila und roten Streifen an und setzte sich wieder an seinen
Bericht.
     
    Heute
Abend habe ich in Lower Swinstead ausführlich mit Bert Bagshaw gesprochen.
Warum bin ich nur nicht meinen ersten Instinkten gefolgt? Dann hätte ich
begriffen, dass der Schlüssel zu dem schwer durchschaubaren Motiv für den Mord
anYvonne Harrison in der unmittelbaren Nachbarschaft zu suchen war und nicht in
einer von Außenstehenden verübten Vergewaltigung oder einem Einbruch. Die
Bauern in den Thomas Hardy-Romanen wussten meist ganz genau über das Treiben in
den Dörfern von Wessex Bescheid. Ihre modernen Gegenstücke sind die Alfs und
Berts, die in den Wirtshäusern der Cotswolds herumsitzen. Auch wenn ich jetzt
weiß, wer Yvonne Harrison umgebracht hat, dürfte es schwer sein, den Beweis zu
führen. Das erinnert mich an den griechischen Philosophen Protagoras, der seine
Schwierigkeiten damit hatte, die Existenz der Götter als Dogma zu akzeptieren —
einmal weil der Gegenstand an sich so obskur war und zum zweiten wegen der
Kürze des menschlichen Lebens.
    Hier
folgen nun meine abschließenden Überlegungen zu dem Mord an Yvonne Harrison,
der Krankenschwester in der knisternd gestärkten Tracht, die mich einmal (nur
einmal!) so verführerisch liebevoll im Krankenhaus mit ihrer Zuwendung beglückt
hat.
     
    Eine Stunde später, um Viertel
vor eins, hörte er auf zu schreiben.
    Oder schrieb, um es präziser zu
sagen, danach keine Zeile mehr.
     
    Um diese Zeit schlief Lewis
bereits, wenn auch etwas unruhig, weil er sich nicht darüber klar werden
konnte, ob sich der Fall nun gut oder schlecht entwickelte. Morse hatte darauf
bestanden, dass er, Lewis, Frank Harrison und seine Begleiterin in Heathrow in
Empfang nehmen sollte. Aber darum brauchte er sich jetzt noch keine Gedanken zu
machen. Die British Airways-Maschine würde erst in sechsunddreißig Stunden
landen, und Morse hatte Stein und Bein geschworen, dass sie Harrison mitbringen
würde und der nicht schon auf dem Weg nach Katmandu oder auf die Kayman-Inseln
war. Was Lewis die Ruhe raubte, war die Frage, wie es in Wahrheit um die
rätselhafte und geheim gehaltene Beziehung zwischen Morse und Yvonne Harrison
bestellt war.
     
     
     
     

Kapitel
74
     
    Wir
klammern uns ans Leben noch mit dem letzten Muskel — dem Herzen.
    (Djuna
Barnes, Nachtgewächs)
     
    Als Morse um Viertel nach zwei
aufwachte, war seine Stirn schweißnass, ein qualvolles Ziehen lief an seinem
linken Arm entlang bis hinauf in den Nacken und zum Kinn, um seine Brust lag
ein erstickendes Korsett aus Schmerz. Mit Mühe und Not erreichte er das
Waschbecken im Badezimmer und übergab sich heftig. Dann schleppte er sich
quälend langsam, Stufe
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