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Und keiner wird dich kennen

Und keiner wird dich kennen

Titel: Und keiner wird dich kennen
Autoren: Katja Brandis
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Barsch auch diese Nummer?
    Auf irgendeinem Brief steht der Name der Beamtin. KHK Nina Koretzki. Kriminalhauptkommissarin. Maja kennt sich längst mit den Abkürzungen aus. Auf dem Schreibtisch stehen ein paar gerahmte Fotos, eines zeigt ein Pferd – einen Schimmel mit langer Mähne –, ein anderes KHK Koretzki beim Skilaufen mit einem dunkelhaarigen Mann und beim Felsenklettern, unternehmungslustig lächelt sie in die Kamera. Ob sie Kinder hat? Ob sie verstehen kann, wie das ist, wenn einen jemand bedroht und man sich nicht wehren kann?
    Dann ist Nina Koretzki zurück, sie sieht noch ernster aus als zuvor. »Vielleicht können wir Ihnen etwas anbieten«, sagt sie. »Aber Sie müssen gründlich darüber nachdenken.«
    »Okay«, sagt Lila rau. »Um was geht es?«
    »Um einen Platz im Opferschutzprogramm. Das würde bedeuten, dass die ganze Familie eine neue Identität bekommt. Neue Papiere, neue Zeugnisse. Sie könnten an einem weit entfernten Ort neu anfangen.«
    Im ersten Moment klingt das wunderbar. Neu anfangen, o ja, nach nichts sehnt sich Maja mehr. Nach einem Leben ohne diesen Hass, ohne diese Angst. Doch schon spricht die Kriminalhauptkommissarin weiter. »Aber das würde bedeuten, dass Sie sämtliche Brücken zu Ihrem alten Leben abbrechen müssten. Kein Kontakt mehr zu den bisherigen Freunden, zu Verwandten. Sie müssen Ihr altes Leben komplett zurücklassen, nur so ist gewährleistet, dass diese Leute Ihnen nicht wieder auf die Spur kommen.«
    »Was soll das heißen?«, fragt Maja erschrocken. »Man darf seine Verwandten nie wieder sehen? Aber das ist doch ...«
    »Das ist ganz, ganz schwer, ich weiß«, sagt Nina Koretzki und kramt aus ihrem Schreibtisch ein Bonbon für Elias hervor.
    Elias blickt das Bonbon an, als wüsste er nicht mal mehr, was das sein soll. »Willst du nichts Süßes?«, fragt die Beamtin und schaut drein, als wolle sie ihm am liebsten durch die Haare wuscheln – auf Erwachsene wirkt Elias manchmal so, während die anderen Kinder sich darüber lustig machen, dass er so zart, fast mädchenhaft gebaut ist.
    Stumm schüttelt Elias den Kopf. Nina Koretzki schenkt ihm noch einen mitleidigen Blick und wendet sich an Maja. »Es bedeutet, sich ein ganz neues Leben aufzubauen, und keiner wird dich kennen dort, wo du hinziehst.«
    Lorenzo. Maja hat eine Gänsehaut, plötzlich fällt es ihr schwer zu atmen. »Was ist mit ... jemandem, den man liebt?«
    »Keine Ausnahmen«, sagt Nina Koretzki und begegnet ihrem Blick. »Und keine Abschiedsrituale. Wenn jemand wirklich in Lebensgefahr schwebt, dann darf niemand etwas davon wissen, dass und wann derjenige untertaucht.«
    Maja ist noch immer nicht sicher, ob sie richtig verstanden hat. Heißt es, dass sie sich von Lorenzo trennen müsste? Dass sie sich nicht einmal von ihm verabschieden dürfte? Das kann doch nicht sein, oder?
    Fahrig streicht Lila ihre dunklen Locken zurück. »Was ist mit meinem Beruf? Könnte ich den weiter ausüben? Wie sollte ich denn beweisen, dass ich überhaupt eine Ausbildung habe?«
    »Die Abteilung, die mit Zeugen- und Opferschutz befasst ist, würde Ihnen natürlich neue Zeugnisse organisieren«, versichert die Polizeibeamtin. »Sie wären von einer anderen Firma ausgestellt, damit es keine Verbindung zu Ihrem alten Leben gibt.«
    »Haben wir dann einen falschen Pass und so?« Elias wirkt fasziniert.
    »Nein, eure Pässe wären echt. In solchen Fällen wird einfach für den neuen Namen ein Pass bei den Behörden beantragt und ausgestellt.«
    Doch Maja hört kaum noch zu. Sich von Lorenzo zu trennen, kommt überhaupt nicht infrage, niemals, das können die so dermaßen von vergessen! Der alte, ungeheure Hass auf Robert Barsch steigt wieder in ihr auf. Dieser Lebenskaputtmacher, dieses Riesenarschloch, sie würde so gerne quitt werden, ihm zur Abwechslung auch mal irgendetwas antun.
    »Denken Sie darüber nach, ja?«, sagt Nina Koretzki. »Ich will Ihnen nichts vormachen, es wäre furchtbar schwer für Sie alle, aber ...«
    »Es ist jetzt schon furchtbar schwer«, gibt Lila bitter zurück. »Was denken Sie denn? Dass es Spaß macht, sich wie ein gejagtes Tier zu fühlen?«
    Darauf geht die Kriminalhauptkommissarin gar nicht erst ein. »Lassen Sie uns darüber nachdenken, was Sie als Nächstes tun sollten, in Ordnung? Können Sie und die Kinder ein paar Wochen lang irgendwo anders unterkommen? Da jetzt offensichtlich bekannt ist, wo Sie wohnen ...«
    Lila atmet aus, knetet sich mit den Fingerspitzen die Stirn.
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