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Und fuehre mich nicht in Versuchung

Und fuehre mich nicht in Versuchung

Titel: Und fuehre mich nicht in Versuchung
Autoren: Vera Bleibtreu
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gelöst. Der Pappdeckel war verrutscht. «Wie ärgerlich, und wie gut, daß das Glas nicht zersplittert ist. Warte mal, ich richte es schon wieder.» Susanne versuchte, den Pappdeckel wieder an seinen Platz zu bringen. «Das klemmt irgendwie, da steckt doch noch was hinter der Urkunde.» Susanne entfernte neugierig den Pappdeckel, ein mehrfach zusammengelegtes Papier fiel ihr entgegen.
    «Was ist denn das?» Susanne entfaltete das Blatt. «Schuld schein», las sie laut vor, «Hiermit bestätige ich, daß ich von Steffen Vogel 300 000 Euro geliehen und ihm die Summe nach Aufforderung binnen eines Monats zurückzuzahlen habe. Jens Maistrom.» Susanne ließ das Blatt sinken und blickte Jens entsetzt an. «Du hast dir von Vogel 300 000
    Euro geliehen, das sind ja 600 000 Mark. Was soll das denn heißen, warum hast du mir das nie erzählt?» Jens war aus dem Bett gesprungen. «Gib das her», seine Augen funkelten. Susanne wich vor Jens zurück, sie drückte das Blatt an ihre Brust. «Gib das her, verdammt noch mal», er versuchte, ihr das Papier aus der Hand zu winden. Susanne hielt den Schuldschein schützend hinter ihrem Rücken, sie stand jetzt direkt vor dem Schlafzimmerschrank. Jens war dicht vor ihr, drückte sie brutal gegen das Möbel. «Laß mich los!» schrie sie. «Gib das her», brüllte er, seine Augen brannten, er versuchte, ihr den Arm herumzudrehen.
    Susanne schrie vor Schmerz. Plötzlich dämmerte es ihr.
    «Du bist es gewesen, du hast Steffen Vogel umgebracht», flüsterte sie. Jens ging einen Schritt zurück, sie holte Luft und rieb sich den schmerzenden Arm, ohne die Urkunde aus der Hand zu legen. «Aber warum? Warum, Jens?» Es war, als ob alle Energie aus ihm weichen würde. Er ließ sich auf das Bett sinken, schlug die Hände vor sein Gesicht. «Du hast ihn umgebracht», stellte sie fassungslos fest. «Wegen 300 000 Euro?» Jens begann zu weinen. Seine Tränen liefen ihm die Wangen herunter, tropften durch die Hände, fielen auf den Boden. «Der Schwalbacher Hof», schluchzte er, «er wollte ihn nicht mehr. Er wollte weg nach Thailand, ihm war alles egal, ich, der Schwalbacher Hof, er wollte nur sein Geld wiederhaben und ab nach Bangkok. Ich hab geweint und gebettelt, aber ihn hat das überhaupt nicht berührt. Ich hab ihm gedroht, daß ich dem Amuse Gueule   alles erzähle, aber das war ihm auch egal. Und plötzlich hatte ich diese Flasche in der Hand und hab nur noch zugeschlagen. Der Schwalbacher Hof, alle Jahre, die ich geschuf-tet habe.» Jens blickte auf, sein Blick veränderte sich, seine Stimme klang schneidend. «Der Schwalbacher Hof, den darf mir keiner nehmen, auch du nicht!» Langsam stand er auf, Susanne starrte ihn wie paralysiert an. «Gib mir den Schein!» Er legte seine Hände um ihren Hals und begann zuzudrücken. Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel, sein Blick war stier auf Susanne gerichtet. Endlich begann sie, sich zu wehren. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, riß an seinen Händen, packte seine Arme. Die Todesangst verlieh ihr Kraft, aber sie spürte, wie ihr die Luft ausging und ihr Blut im Kopf kochte. In Sekundenbruchteilen zog ihr ganzes Leben an ihr vorbei, der erste Schultag, Ferien mit Mama und Papa, Streit und Spiel mit Sven, Paris im Frühling, das Seminar mit Urs, das erste Rendezvous mit Jens, die Hähne an den Platanen, die angenagelte Hand. Sie spürte, wie sie ohnmächtig wurde. Im Fallen riß sie Jens mit sich. Er lag auf ihr, würgte sie mit unnachgiebiger Härte, ihre Hände tasteten im Todeskampf zur Seite und fühlten etwas Wildleder-Weiches – ihre Bamberger Lieb-lingsstilettos mit dem Stahlabsatz. Susanne griff nach ihrem rechten Schuh und schlug zu, und schlug und schlug und schlug auch dann noch, als Jens Maistrom blutend über ihr lag und sich nicht mehr rührte.

    * * *
    «Steffen Vogel genoß es, Macht zu haben, aber letztlich hat ihn das das Leben gekostet.» Tanja ließ ihre langen Beine schaukeln, sie saß auf Susannes Bettkante. Auf dem Stuhl  hockte Urs Bernhardt und fühlte sich sichtlich unwohl in der Krankenhausatmosphäre. Er fummelte nervös an einem in Geschenkpapier eingewickelten Buch herum.
    «Mein neues Buch, Musik und Theologie beim Doktor Faustus, ich dachte, das paßt zum Thema Versuchung», erläuterte er verlegen. «Pralinen habe ich natürlich auch mitgebracht.» Er fischte aus einer Plastiktüte eine Mega-packung heraus. «Das paßt auch, finde ich.» Er grinste zufrieden. Obwohl sie sich völlig erschöpft und
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